Schwarzes Blut
Boden. Er will, daß ich stark bin, das sehe ich, und bekommt doch kaum noch ein Wort heraus.
»Schieß einfach!« fleht er mich an.
O Gott, wie sehr ich das möchte. Eine Kugel in den Kopf, um Joel zu erlösen, und dann fünf auf Eddie, und zwar auf ausgesuchtere Stellen als im Kolosseum. Ich bin sicher, daß ich alle sechs Schüsse abgeben kann, ohne mir selbst einen einzufangen, solange noch das Leben seiner Mutter auf dem Spiel steht. Aber dieses Spiel steht kurz vor dem Abschluß: Seine Mutter hängt schlaff in meinen Armen. In ihren Adern fließt nicht mehr genug Blut, um ihr Herz vor dem Aussetzen zu bewahren. Kraft zum Weinen hat sie allerdings noch. Warum berührt mich das so? Sie ist doch ein höchst unangenehmer Mensch. Ironischerweise ist es jedoch gerade ihre Erbärmlichkeit, die mein Mitleid erweckt. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.
Vor allem aber weiß ich nicht, was ich tun soll!
»Joel«, sage ich mit schmerzerfüllter Stimme und zeige Eddie damit meine Schwäche. »Ich habe das alles nicht gewollt.«
»Ich weiß…« Er will sich ein Lächeln abringen, schafft es aber nicht. »Du hast mich gewarnt.«
»Eddie«, sage ich.
Die Schwäche, die in meiner Stimme liegt, gefällt ihm. »Ja, Sita?« »Du bist ein Trottel.«
»Und du bist ein Miststück.«
Ich seufze. »Was willst du eigentlich? Ehrlich, wenigstens das kannst du mir doch sagen.«
Er überlegt. »Bloß das, was ich haben kann.«
»Jesus.« Mir ist speiübel. »Sie bringen dich um. Dieser Planet ist doch so groß. Es gibt viele Verstecke. Die menschliche Rasse wird dich jagen und töten.«
Er bleibt großspurig: »Bevor die überhaupt mitkriegen, was passiert, gibt es schon gar nicht mehr viele, die mich jagen können.«
Wie ein Fluß erscheint mir Joels triefendes Blut nun, wie eine Strömung, aus der ich mich nicht mehr befreien kann, gleichgültig, wie verzweifelt ich mich auch bemühe. Früher einmal gefielen mir solche roten Fluten, aber das war zu einer Zeit, in der ich glaubte, sie treiben auf ein Meer zu. Das endlose Meer der Gnade Krishnas. Aber wo ist er jetzt? Der große Gott, der mir seinen Schutz versprach, wenn ich mich nur an seine Befehle halte? Er ist tot, ertrunken in der Gleichgültigkeit – wie wir anderen auch.
»Krishna«, flüstere ich zu mir selbst. »Krishna.«
Daß ich plötzlich von Eddies Mutter ablasse, liegt nicht daran, daß er mir erschienen ist und mir alles erklärt. Daß ich mich ergebe, ist auch kein Akt des Vertrauens. Die Verzweiflung, die ich in diesem Augenblick spüre, erstickt all diese Vorstellungen. Die Frau steht an der Schwelle zum Tod, schafft es jedoch irgendwie, zu ihrem Sohn hinzutaumeln, mit einem verzerrten Grinsen auf dem Gesicht, das mich an Schaufensterpuppen im Schlußverkauf erinnert. Ihr kleiner Liebling hat wieder einmal gewonnen, so glaubt sie. Sie zieht eine klebrige rote Spur hinter sich her. Meines Schutzschildes beraubt, stehe ich Eddie gegenüber und warte auf Schüsse, die niemals fallen. Natürlich hat Eddie jetzt die Zeit auf seiner Seite und wahrscheinlich Schlimmeres mit mir vor. Er wartet einfach, bis seine Mutter bei ihm ist.
»Schatzilein«, sagt sie mit süßer Stimme und hebt ihre blutleeren Arme zu ihm hoch. Eddie verlagert Joel auf eine Seite und erweckt den Anschein, als wolle auch er sie in den Arm nehmen.
»Mutter«, erwidert Eddie.
Dann packt er seine Mutter mit der freien Hand. Fest.
Er dreht ihren Kopf. Einmal ganz herum.
Die Berührung des Dämons. Jeder Knochen an ihrem Genick bricht.
Leblos schlägt sie auf dem Boden auf; das Grinsen überzieht noch immer ihr Gesicht.
Da war er wohl letztlich doch nicht so verrückt auf seine Mutter.
»Sie wollte mir immer sagen, was ich zu tun hatte und was nicht«, erklärt Eddie.
Die Minuten danach verschwimmen. Ich soll meinen Revolver ablegen, was ich brav tue. Joel wird auf die Couch gelegt, von wo aus er uns mit glasigem Blick anstarrt. Noch lebt er, noch kriegt er mit, was um ihn herum geschieht, aber er ist völlig unfähig, in das Geschehen einzugreifen. Eddie erlaubt mir, Joels Blutung mit einem Tropfen Blut aus meinem Finger aufzuhalten. Wahrscheinlich wollte er einfach mal sehen, wie das funktioniert. Alles in allem ist er – wie Yaksha schon vorhersagte –, sehr an meinem Blut interessiert. Was für ein toller Zufall: Er trägt eine Spritze und einen Plastikschlauch bei sich. Ohne geht er wohl nie aus dem Haus. Die moderne Medizin hat die VampirProduktion zweifellos erleichtert. Eddie richtet den
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