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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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kann, der wird es auch nicht halten.»
    «Genau so. Ein Mann, der wichtig für das Land ist, darf sich nicht sehenden Auges zerstören. Wie willst du das rechtfertigen?»
    «Weißt du, die Menschen sind seltsam. Die Deutschen vor allem. Hat sich im Krieg ein deutscher Soldat mit der Panzerfaust einem T 34 in den Weg gestellt und den abgeschossen, dann gilt so ein ‹Panzerknacker› bis auf den Tag als Held. Obwohl auch er genau wusste, dass er dabei draufgehen konnte. Und obwohl er im Auftrag von Verbrechern handelte und für eine sinnlose Sache sein Leben riskierte. Wenn sich aber jemand für eine gerechtere Welt einsetzt, dafür, dass Tausende Menschen anständig arbeiten und davon gut leben können, gilt der als verrückter Romantiker. Irgendetwas stimmt da nicht.»
    «Aber meinst du nicht, dass du auch mit zehn Stunden Arbeit am Tag statt mit sechzehn Erfolg hättest?»
    «Du meinst, im zweiten Gang schleichen? Das liegt mir nicht. Im Übrigen, du hast dir die Tbc beim Bau der Maxhütte auch nicht geholt, weil du bei jedem Schnupfen zum Arzt gerannt bist. Also, was soll das? Debatten, die nur Zeitverschwendung sind.»
    Lorenz schloss die Augen, sofort begann sich alles wieder zu drehen. Er öffnete sie, und die Dinge rückten an ihren Platz. Im Grunde hatte der Schriftsteller recht. Kaum jemand verstand, warum er nach den Erlebnissen im Lager nicht in den Westen, sondern in den Osten gegangen war, als hätte er noch immer nicht genug von den lebensgefährlichen Experimenten. Auch sein unbedingter Wille, das Werk schnellstens in der Erfolgsspur zu sehen, war vielen unheimlich. Aber hatte er überhaupt eine Wahl?
    War es falsch, nach Deutschland zurückzukehren?
    War es falsch, als Schlosser nach Gotha zu gehen?
    War es falsch, das Werk zu übernehmen?
    Falsch, alles auf eine Karte zu setzen?
    Falsch, sich nicht zu schonen?
    Nein. Er würde es so und nicht anders wieder tun. Lorenz sah das schwarze Fensterkreuz, das sich gegen das tiefe Blau des Nachthimmels abzeichnete. Die meisten Menschen hatten keinerlei Überzeugungen. Man nahm das, was gerade im Angebot war, und verwarf es sofort, wenn ein neuer Glaube mehr Vorteil versprach. War das schlecht? War das gut? Er wusste es nicht. Was er wusste, war, dass er seine Überzeugung nicht vom Verhalten anderer abhängig machen wollte. Von einem Stalin nicht und auch nicht von einem Adenauer oder Ulbricht. Schwer genug war das.
    Das Schwindelgefühl ließ endlich nach.

III
    «Habe ich es dir nicht gesagt?»
    «Ja, du hast es mir gesagt.»
    «Aber du hast es nicht geglaubt.»
    Sie standen nebeneinander am Fenster und schauten hinaus auf die Leipziger Straße. Ab und zu kam ein Auto, meist schwarz oder grau, bog um die Ecke und fuhr, den Schneematsch in die Pfützen drückend, in den Hof. Nicht viel Verkehr. Kein Wunder, einige Meter weiter war die Welt zu Ende. Die Mauer.
    Das Haus der Ministerien, wieder so ein unwirtlicher Ort, wie es viele in Berlin-Mitte gab. Grau, abweisend, in jeder Pore noch den Geist der Vorbesitzer aus der Zeit des Krieges atmend. Lorenz fühlte sich stets unbehaglich, wenn er durch die dunklen Flure ging. Wie konnte man zwischen diesen Wänden neu, vor allem frei, denken? Erich Apel konnte. Als Chef der Planungskommission war er ganz oben angekommen. Mehr ging nicht. Zumindest nicht für jemanden, der sich ernsthaft mit Wirtschaft befasste.
    «Du hast recht. Ich habe es nicht geglaubt. Es klang ziemlich unwahrscheinlich. Als ‹Ehemaliger› im ZK? Da gibt es nicht viele.»
    «Nicht viele? Ich glaube, du bist der Einzige.»
    «Bist du sicher?»
    «Ich kenne keinen anderen, der im Lager gesessen hat.»
    «Und Eberlein?»
    «Den Vater haben sie umgebracht.»
    «Ich weiß, er ist bei uns in Workuta gestorben.»
    «Der Werner selbst war nur in der Verbannung, nicht im Lager. Sonst hätten sie ihn bestimmt nicht als Dolmetscher so nahe an Nikita rangelassen.»
    «Und Chruschtschow hätte keine ‹deutsche Stimme›.»
    «Ja. Ich war ja auch nicht freiwillig auf meiner Insel im Seligersee, der liegt nördlich von Moskau, aber mit Workuta ist das nicht zu vergleichen. Wir konnten machen, was wir sowieso in Peenemünde mit Wernher von Braun am liebsten taten: Raketen bauen. Natürlich werden sie dich wegen deiner Geschichte beargwöhnen.»
    «Das machen sie bereits.»
    «Wieso?»
    «Es war auf dem Parteitag. Ich löffelte in der Mittagspause meine Suppe, da fragt einer, ob neben mir der Platz frei sei. Was glaubst du, wer das war?»
    «Keine

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