Schwarzes Fieber
am vergangenen Nachmittag hatte Hecker angerufen, unser Mann in Luanda. Ihm war aufgefallen, dass schon vor Tagen ein gewisser Raimondo Ribeiro nach Europa geflogen war. Hecker war sich nicht sicher gewesen, ob es sich bei diesem Mann wirklich um Rosanas lange vermissten älteren Bruder handelte. Aber er fand, dass wir das vielleicht erfahren sollten.
Zwei Stunden später hatten meine Leute gewusst, dass es sich um den richtigen Raimondo handelte und dass der sich zuvor einige Monate in Huambo aufgehalten hatte. Die Vermutung lag auf der Hand, dass er dort seine Schwester besucht hatte. Und dann hatte Klara Vangelis zwei Dinge herausgefunden, die in der Heidelberger Polizeidirektion Katastrophenalarm ausgelöst hatten: Raimondo Ribeiro hatte – wie Hecker schon vermutet hatte – einige Jahre als Söldner in der südafrikanischen Armee gedient und in seinem Heimatland Angola gegen die Kommunisten gekämpft. Ein Haudegen, ein Mann fürs Grobe, oft verletzt, aber nie besiegt. Und vorgestern Abend war er in Cagliari gelandet, der Hauptstadt Sardiniens im Süden der Insel. Dort hatte er einen Wagen gemietet, einen Alfa Romeo vom selben Typ wie meiner. Und es war unschwer zu erraten, zu welchem Zweck der Mann die weite Reise unternommen hatte.
Giulio war schon im blau gestreiften Pyjama, aber als er begriff, weshalb er so dringend die Polizei alarmieren sollte, verschwand er wortlos im Schlafzimmer, um dreißig Sekunden später fertig angekleidet wieder herauszukommen, mit wild entschlossener Miene im Gesicht und einem sechsschüssigen, leicht angerosteten Revolver vom Format eines Peacemaker in der Hand.
»Das Telefon geht immer noch nicht«, erklärte er mir ohne eine Spur von Aufregung in der Stimme. »Julia versucht’s übers Telefonino, während wir fahren. Aber die Polizisten kommen von Sassari, das dauert, bis sie da sind. Falls sie überhaupt kommen, die Schlafmützen. Wie ich die kenne, spielen sie Karten oder haben gerade kein Benzin in den Streifenwagen.«
Augenblicke später saßen wir in seinem erst wenige Wochen alten Mercedes – nur Menschen, die zum Spaß unterwegs waren, fuhren in Italien italienische Autos, wurde mir erklärt – und rasten über die schmale Küstenstraße nach Norden. Jeder Sarde, der etwas auf sich hielt, besaß eine Waffe, erfuhr ich. Natürlich illegal, aber wen interessierte das schon? Die Sarden betrachteten auch die Italiener nur als eine weitere der Besatzungsmächte, die die Insel im Lauf der Jahrhunderte erobert hatten. Und auch sie würden irgendwann wieder verschwinden mitsamt all ihren lästigen Vorschriften, die einem sogar so harmlose Dinge wie das Tragen von Schusswaffen verboten.
»Kein Licht«, zischte Giulio, als die Fahlenbergsche Villa in Sicht kam. »Da oben brennt sonst immer Licht!«
Er ging vom Gas, bremste und stellte den Wagen am Straßenrand ab.
»Den Rest gehen wir lieber zu Fuß.«
Glücklicherweise war es eine mondhelle Nacht, sodass wir keine Probleme hatten, uns zu orientieren.
»Die kommen alle vom Festland«, lautete Giulios verbissener Kommentar zu meinem Einwand, es wäre vielleicht doch besser, auf die italienischen Kollegen zu warten. So stolperte ich hinter ihm her, um wenigstens das Schlimmste zu verhüten.
»Da!« Auf halbem Weg den Berg hinauf wies er in die Luft. »Durchgeschnitten!«
Eine Freileitung begleitete das Sträßchen zur Villa hinauf.
Und dort, wohin Giulio zeigte, baumelten zwei der Drähte lose im empfindlich kühlen Nachtwind. Endlich standen wir vor dem Tor, das sich acht Stunden zuvor hinter mir geschlossen hatte.
»Die Hunde«, flüsterte Giulio und sah um sich. »Die müssten doch jetzt bellen wie die Teufel!«
Jetzt erst erfuhr ich, dass er sich sowohl auf dem Grundstück wie auch im Haus bestens auskannte, da er dort ab und zu Reparaturarbeiten verrichtet hatte. In Castelsardo nannte man ihn nämlich »il Tedesco«, und er stand im Ruf, alles wieder in Gang bringen zu können, was mit Technik zu tun hatte.
Bevor ich den Mund aufbekam, war mein kräftiger Begleiter über das mannshohe Stahlgittertor gesprungen. Wenig begeistert tat ich es ihm nach. Als ich wieder Boden unter den Füßen hatte, knallten im Haus in kurzer Folge drei Pistolenschüsse.
»Scheißdreck!«, knurrte Giulio in deftigem Schwäbisch und hob seinen Revolver ein wenig höher. In der Villa begannen Lichter herumzugeistern, Taschenlampen. Leise, aufgeregte Stimmen. Die Hausangestellten vermutlich, die vom Lärm aufgewacht waren und sich
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