Schwarzes Prisma
unbeeindruckt. Vielleicht hatten sie sich einfach zu sehr an diese Vorgänge gewöhnt. Er war schließlich das Prisma. Es war seine Aufgabe, das Unmögliche zu tun. Wenn überhaupt, so entspannten sie sich geringfügig. Ihre Aufgabe war es, die Weiße zu beschützen, selbst vor ihm, sollte es notwendig werden.
Gavin war das Prisma und daher angeblich der Herrscher der Sieben Satrapien. In Wirklichkeit waren seine Pflichten größtenteils religiöser Natur. Prismen, die zu viel mehr wurden als bloßen Gallionsfiguren, fanden sich zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Häufig dauerhaft. Die Schwarze Garde würde sterben, um ihn vor allen anderen zu beschützen, aber die Weiße war das Oberhaupt der Chromeria. Im Zweifelsfall würden die Schwarzgardisten für sie kämpfen, nicht für ihn. Und wenn es dazu kam, würden sie wissen, dass sie wahrscheinlich alle sterben würden, aber andererseits war es das, wozu man sie ausgebildet hatte. Auch Karris.
Gavin fragte sich manchmal, ob Karris, sollte dies jemals geschehen, die Letzte sein würde, die versuchte, ihn zu töten, oder die Erste …
»Karris?«, sagte die Weiße. »Auf Euch wartet ein Schiff, das nach Tyrea fährt. Nehmt dies mit. Ihr könnt es lesen, sobald Ihr Segel gesetzt habt. Wenn Ihr es könnt, rudert den Rest des Weges. Zeit ist ein kritischer Faktor.« Sie reichte Karris ein zusammengefaltetes Blatt. Es war nicht einmal versiegelt. Entweder vertraute die Weiße darauf, dass Karris es nicht öffnen würde, bevor ihr Schiff auslief, oder sie wusste, dass sie den Brief sofort lesen würde, ob er nun versiegelt war oder nicht. Gavin glaubte, Karris gut zu kennen, und er wusste nicht, was sie tun würde.
Karris nahm den Brief entgegen und machte eine tiefe Verbeugung vor der Weißen, ohne auch nur einen Blick auf Gavin zu werfen. Dann drehte sie sich um und ging. Gavin konnte nicht umhin, ihr nachzusehen; ihre Gestalt war grazil, anmutig und kraftvoll, aber er ließ seinen Blick nur kurz auf ihr verweilen. Die Weiße würde es nichtsdestoweniger bemerken, aber wenn er Karris regelrecht anstarrte, würde sie wahrscheinlich etwas sagen.
Sie winkte, als Karris die Treppe hinunter verschwand, und der Rest der Schwarzen Garde zog sich außer Hörweite zurück.
»Also, Gavin«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ein Sohn. Erklärt mir das.«
6
Die Grüne Brücke überspannte den Fluss weniger als eine Meile flussaufwärts von Rekton. Kips Körper schrie vor Anstrengung, aber wann immer Kip seinen Schritt verlangsamte, stellte er sich vor, dass die Soldaten von der anderen Seite des Flusses her nahten. Er musste vor ihnen da sein.
Ungefähr zwölf Alpträume von Versklavung und Tod später hatte er es geschafft. Isabel, Ramir und Sanson lehnten entspannt an der Brücke. Isabel war dick vermummt gegen die Kälte und schaute zu, während Sanson versuchte, Regenbogenforellen aus dem Wasser zu locken, und Ram ihm erklärte, dass er es falsch mache. Sie alle schauten Kip an, als er sich keuchend vorbeugte. Keine Spur von Soldaten irgendwo.
»Ihr müsst weg«, sagte Kip zwischen zwei Atemzügen. »Soldaten kommen.«
»Oh, nein, oh, nein! Nicht Soldaten!«, rief Ram in gespielter Panik.
Sanson sprang auf, weil er dachte, Ramir meine es ernst. Sanson hatte vorspringende Zähne und war leichtgläubig und gutmütig und immer der Letzte, der einen Scherz verstand, und derjenige von ihnen, der am ehesten selbst zum Gegenstand eines Scherzes wurde.
»Immer mit der Ruhe, Sanson. Das war ein Witz«, erklärte Ramir und versetzte Sanson einen zu harten Schlag gegen die Schulter.
Als sie das erste Mal von Musterungsoffizieren gehört hatten, die junge Männer in den Dienst pressen wollten, hatten sie ungefähr eine Sekunde gebraucht, um zu einer klaren Schlussfolgerung zu gelangen: Wenn einer von ihnen in König Garaduls Dienst gepresst wurde, würde es Ram sein. Mit sechzehn war er ein Jahr älter als die übrigen von ihnen und der einzige, der auch nur ansatzweise wie ein Soldat wirkte.
»Ich habe keinen Scherz gemacht«, sagte Kip, immer noch vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, während er schwer atmete.
Nach wie vor unsicher sagte Sanson: »Meine Ma meinte, die Alkaldesa habe einen großen Streit mit dem Mann des Königs. Sie meinte, die Alkaldesa habe ihm gesagt, er solle sich seine Befehle ins Ohr stecken.«
»Wenn ich die Alkaldesa richtig kenne, hat sie nicht Ohr gesagt«, bemerkte Isa. Sie grinste boshaft, und Sanson und
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