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Schwingen der Lust

Schwingen der Lust

Titel: Schwingen der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riccarda Blake
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PROLOG
    Unerkannt von den Menschen in den Straßen unter ihm glitt er auf leisen Schwingen durch die Nacht. Wie immer in den vergangenen Jahren war er auf der Suche nach ihr. Auf der Suche nach der einen, deren Schicksal alles verändern sollte. Er wusste, dass ihre Ankunft bevorstand, und er durfte nicht zulassen, dass sie tun würde, wozu sie auserkoren war. Die Prophezeiung war falsch; aber die, die dafür kämpften, dass sie wahr wurde, wussten das nicht. Konnten das nicht wissen. Deshalb war es so wichtig, dass er sie vor ihnen fand.
    Er lauschte dem Lied des kühlen Windes, der hier unten in den Schluchten zwischen den Hochhäusern New Yorks sanfter wehte als hoch über der Stadt und ihm wohltuend durch die langen Locken und die Federn seiner Flügel strich. Das Lied waren die Stimmen der Menschen, das Geräusch ihres Atems, ihre Flüche und ihre Gebete. Er konnte sie alle hören. Hatte es schon immer gekonnt. Doch je größer New York wurde, umso schwerer wurde es, die einzelnen Stimmen und Geräusche voneinander zu unterscheiden; die, die er suchte, zu erkennen ... am ganz besonderen Schlag ihres Herzens.
    Er hatte das Wachsen dieser heute so gigantischen und aus allen Nähten platzenden Stadt miterlebt. Vierhundert Jahre lang; seit ihrer Gründung als Posten für den Fellhandel an der Südspitze Manhattans, als sie noch Nieuw Amsterdam hieß und die Holländer sie von den eingeborenen Lenape für eine Handvoll Glasperlen gekauft hatten.
    Die Zeit war reif ... und er war müde. Er war so müde, dass er sich manchmal fragte, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, zuzulassen, dass die Prophezeiung sich erfüllte.
    Doch das hätte schreckliche Folgen.
    Verheerende Folgen.
    Für die Stadt unter ihm ... das Land ... den Kontinent... für den ganzen verdammten Planeten. Kein Stein würde hier mehr auf dem anderen bleiben, wenn er seine selbsterwählte Aufgabe nicht erfüllte. All die Menschen, deren Stimmen er hörte, würden sterben. Die ganze Rasse würde untergehen, wenn er aufgab oder versagte.
    Nein, das, das sich „Das Gute“ nannte, durfte nicht siegen. Nicht dieses Mal. Sie hatten schon genug angerichtet.
    Er beschleunigte den Schlag seiner weiten, schwarzen Flügel und schoss wie ein Pfeil in die Höhe ... mitten hinein ins Herz der Nacht, die ihn einst geboren hatte.

TEIL 1
    DIE ABGAL

 
1. KAPITEL
    Kein guter Tag
    Maggie seufzte, als sie das letzte Exemplar signierte.
    Sieben Stück. Das waren einfach zu wenig. Damit war nicht einmal ein Bruchteil der Kosten für die heutige Lesung gedeckt, die sie selbst mit großem Aufwand in dem alten Vaudeville-Theater in SoHo organisiert hatte, um das vernichtende Urteil des Verlages abzuwenden - die Herausnahme ihres Buches aus dem Programm.
    Sie hatte die Schnauze voll. So voll.
    Es war endgültig so weit: Sie konnte und wollte nicht mehr. Sie hatte wirklich alles gegeben, was zu geben sie in der Lage gewesen war, und es hatte einfach nicht genügt. Sie hatte die Herausforderung New York angenommen - und sie hatte verloren. Nach all den Jahren und unzähligen Versuchen ... ein für alle Mal. Es war Unsinn, sich diesbezüglich noch länger etwas vorzumachen.
    Nächste Woche würde der Vermieter ihres Mini-Apartments endgültig die seit Langem angedrohte Räumungsklage vollstrecken lassen und sie samt ihren wenigen Habseligkeiten aus der Wohnung werfen. Da war nichts, was sie noch dagegen tun konnte - außer nicht mehr hier zu sein, wenn es passierte.
    Es graute ihr bei der Vorstellung, die Großstadt schon binnen der nächsten Tage verlassen und wieder zu ihrer Mutter aufs Land nach Aurora, Missouri, zurückkehren zu müssen. Gerade mal siebentausend Einwohner am Rand von Nirgendwo: über zwanzig Prozent davon lebten unterhalb der Armutsgrenze.
    Ein Sumpf von Armut und Chancenlosigkeit. Maggie war ihm einmal ganz knapp entkommen; ein zweites Mal würde ihr das ganz sicher nicht mehr gelingen.
    Es war nicht so, dass sie ihre Mutter nicht über alles liebte und gerne mit ihr zusammen war, aber als Maggie damals nach New York gegangen war, hatte sie bei allem was ihr heilig war, geschworen, nie wieder einen Fuß nach Aurora zu setzen, bis zu jenem denkwürdigen Tag, an dem sie kommen würde, um auch ihre Mutter von dort wegzuholen und für sie zu sorgen.
    Jetzt hinter einem Stapel von unbezahlten Rechnungen und Mahnbescheiden doch keinen anderen Ausweg mehr zu sehen, als dorthin zurückzugehen, war also in ihren Augen mehr als nur Versagen: Es war das

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