Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
die anderen. Den Tod des Soldaten nahm ich als Tatsache hin. Krieg stumpft ab. Nach dem Beschuss des Busses und dem vielen Blut wurde ich unempfindlich. Das Einzige,was ich fühlte, war Kälte. Meine in die Decke gewickelten Füße hatten sich in Eisklumpen verwandelt.
Unser Holzflugzeug hatte offensichtlich Treffer abbekommen. Es brannte vom Heck her. Die Männer versuchten mit Feuerlöschern die Flammen zu bekämpfen. Plötzlich durchfuhr ein grauenhafter Schmerz meine Ohren – wir sackten schnell ab. Ich verschwand wieder aus dieser Welt, verlor das Bewusstsein. Zu mir kam ich, als eine wilde Kraft an mir riss. Alle Männer, die eben noch den Brand zu löschen versucht hatten, stürzten zu Boden, wie gefällt. Das Flugzeug schnitt sich in den Schnee eines Seeufers und glitt mit dem Bauch darüber hin. Ich erinnere mich sogar an den merkwürdig knirschenden, zischenden Laut. Ich erinnere mich auch an Kommandorufe (einzelne Wörter verstand ich nicht) des obersten Onkels, die er, am Boden liegend, dem Piloten zurief, als das Flugzeug abbremste. Dann stand er auf, bekreuzigte sich, wie mir schien, und gab Weisungen. Den einen befahl er, die Fenster von den Metallplatten zu befreien, die Scheiben einzuschlagen, uns durch die Fensteröffnungen zu hieven und fünfzig Meter weit vom Flugzeug wegzutragen. Anderen befahl er, die Kisten in Sicherheit zu bringen, sie durch Fenster und Türen hinauszubefördern, den Dritten, das Feuer von draußen und drinnen niederzuhalten, bis die ganze Fracht geborgen war. Den Piloten befahl er, die Instrumente abzubauen und hinauszutragen, ebenso die Eisenplatten, die Marschverpflegung, den Sprit und alles Wertvolle, soweit sie es schafften. Die Menschen wuselten herum wie Ameisen vor einem Gewitter, schleppten Kisten, Instrumente, Lebensmittel und Sonstiges aus dem Bauchdes Flugzeugs. Ich erinnere mich, dass sie die Stricke, mit denen wir an die Bänke gebunden waren, mit Beilen durchhackten und uns Deckenbündel durch die Fensteröffnungen hinausschoben. Ich erinnere mich, dass sie uns nebeneinander in den Schnee legten.
Kaum war die Fracht im Wesentlichen aus dem brennenden Flugzeug geholt und so weit wie möglich weggetragen, explodierte die Maschine. Ich verlor abermals für lange das Bewusstsein. Der scharfe Geruch von Sprit brachte mich wieder zu mir. In einem Gehäuse aus Kisten und Planen rieben die Erwachsenen unsere erfrorenen Füße, Hände und Gesichter mit Sprit ab. Zur inneren Erwärmung gaben sie uns heiße Medizin zu trinken – Wasser mit Sprit.
Den ganzen Tag, solange es hell war, bauten die Männer ein Lager in den Schnee, das einer runden Festung glich. In der Mitte des Kreises entzündeten sie ein Feuer, zu dem sich schon am nächsten Tag ein Öfchen gesellte, das die Männer mit ihren starken Händen aus Blechteilen des Flugzeugs gebaut hatten. Aus Metallresten machten sie Spaten und kleine Türen für die Erdhütten. Alles, was von dem Flugzeug übriggeblieben war, wurde verwertet. Rings um das Feuer und das Öfchen entstanden fünf Erdhütten mit Wänden aus Kisten und einem Boden aus Tannenzweigen, mit Segeltuch bedeckt. Ich erinnere mich, wie die Erwachsenen in die Erdhütten krochen. Die wärmste Hütte gehörte uns, den Krümeln. Unser Lager wurde mit jedem Tag besser, gemütlicher und wärmer. Wie viele Tage wir darin lebten, weiß ich nicht mehr, aber ziemlich lange. Wasser gewannen wir zuerst aus Schnee, später schlugen die Männer ein Eislochin den Ladogasee. Für das Beschaffen von Brennholz wurde vom Lager zum Wald ein Weg durch den Schnee getrampelt. Unser oberster Onkel schickte die Piloten ins nächstgelegene Dorf. Sie waren wärmer gekleidet als die anderen und besaßen Karten. Mehr als zehn Kilometer mussten sie sich durch hohe Schneewehen kämpfen.
In den ersten beiden Tagen ernährten wir uns von den Resten der Marschverpflegung, aßen Brei aus Roggenmehl und Eipulver. Das schmeckte köstlich. Am dritten Tag kehrten die Piloten auf Skiern zurück und brachten auf Schlitten Kartoffeln, Weißkohl, Mohrrüben, Zwiebeln und andere gute Sachen mit. Zu ihren Ehren wurde ein Gelage veranstaltet. Wir nahmen auch daran teil – die Männer setzten uns auf Bänke, die sie aus einem Kiefernstamm gehauen hatten, gaben jedem von uns eine Tasse Kräutertee und dazu eine ganze Mohrrübe. Freilich wussten nicht alle Jungen, was sie damit anfangen sollten.
Erst nach mehreren Tagen kamen zwei große geschlossene Lastwagen auf Raupenketten uns abholen. Wir
Weitere Kostenlose Bücher