S.E.C.R.E.T.
plötzlich, ich weiß. Aber er hat mir sofort einen Heiratsantrag gemacht. Er ist so ein guter Mann, Cassie. Und du weißt, wie sehr er meinen Bruder liebt. Er will ein gutes Vorbild für ihn sein.«
Meine Gedanken überschlugen sich. Wie war das möglich? Ich hatte mich doch für ihn entschieden und er sich für mich.
Ich öffnete den Mund, aber mehr als ein »Ich weiß nicht, was ich sagen soll« brachte ich nicht über die Lippen.
Sie betrachtete mich. Nun, da sie es mir gesagt hatte, wirkte sie sichtlich entspannter. »Du könntest mir gratulieren, Cassie. Mehr nicht.«
»Gratulation«, antwortete ich und umarmte sie unbeholfen. Eine Sekunde lang blieb mir die Luft weg. Als ich die Türglocke hörte, nutzte ich die Gelegenheit und stürmte ins Café, um zu bedienen.
Aber es war kein Kunde. Es war Will, der gequälter denn je wirkte. »Cassie!«
»Ich muss gehen«, erwiderte ich. »Tracina ist in der Küche.«
»Cassie, warte! Ich wusste nichts davon! Was kann ich tun? Was soll ich sagen?«
Ich wandte mich zu ihm um. »Nichts, Will. Du hast deine Wahl getroffen. Es gibt nichts mehr zu tun.«
Tränen liefen meine Wangen hinab. Er streckte die Hand aus, um sie wegzuwischen, doch ich schob seinen Arm beiseite.
»Bitte geh nicht, Cassie«, flüsterte er. Bettelte er.
Ich nahm meinen Mantel vom Haken und warf ihn über. Die Tür des Rose ließ ich hinter mir offen stehen.
Als ich die Frenchmen in südliche Richtung weiterging, ließ der kalte Regen langsam nach. Auf der Decatur begann ich zu joggen, durchquerte das French Quarter, das sich auf die weiteren Festlichkeiten des Tages vorbereitete. In der Canal Street herrschte bereits reges Treiben. Wie eine Wahnsinnige bahnte ich mir einen Weg durch die Menschenmassen. Ich wurde immer schneller. Ich musste hier raus.
Auf der Magazine Street musste ich mich keuchend vorbeugen, um wieder Atem zu schöpfen. Ich bemerkte, dass ich immer noch meine Kellnerinnenschürze trug. Es war mir egal. Bilder von unseren ineinander verschlungenen Körpern spukten durch meinen Kopf. Seine Küsse. Seine Brust, die sich unter mir hob und senkte. Die Art, wie er meinen Kopf in beide Hände nahm. Ich hielt mir die Seite, als das Schluchzen sich Bahn brach. Mein Will, meine Zukunft, einfach in Luft aufgelöst. Einfach so. Ich ließ einen Bus vorüberfahren. Dann noch einen. Ich beschloss, zur Third Street zu laufen, damit ich weiterweinen konnte. Es war mir egal, wer mich sah. Außerdem interessierte sich sowieso keiner für mich. Die Touristen kämpften doch nur um den besten Aussichtsplatz für den Mardi-Gras-Umzug.
O Will. Ich liebte ihn. Aber ich konnte nichts tun. Ich konnte einem Baby nicht den Vater nehmen. Eine vollkommene Nacht, die hatten wir immerhin gehabt. Und nun musste ich ihn ziehen lassen. Ich hatte gelernt, wie man losließ, nachdem man intensiv mit einem Mann zusammen gewesen war. Aber konnte ich das auch bei Will? Ich musste es versuchen.
Als ich unter der Pontchartrain-Schnellstraße entlangging, spürte ich, wie meine Anspannung etwas nachließ, zumal hier weniger Leute unterwegs waren. Der feuchtkalte Geruch des French Quarter wurde von dem Duft unzähliger Blüten, die sich an den Häusern im Lower Garden District emporrankten, abgelöst. Der Regen hatte aufgehört, die Bürgersteige wurden breiter. Ich beruhigte mich immer mehr.
Als ich die Third Street hinaufging, erinnerte ich mich an meinen ersten Streifzug durch diese von üppigem Grün geprägte Straße. Ich dachte daran, wie ich an jenem Tag mehrfach wie gelähmt stehen geblieben war. Jetzt stand ich wieder hier, bis auf die Haut durchnässt und zutiefst verletzt. Damals war ich voller Angst gewesen. Jetzt war ich voller Schmerz. Aber die Furcht war verschwunden, war einem wahrhaftigen und aufrichtigen Selbstwertgefühl gewichen. Ich stand mit beiden Beinen auf der Erde. Mein Herz war schwer, aber ich würde das hier überleben und noch stärker daraus hervorgehen.
Ich wusste, was ich wollte.
Ich wusste, was ich jetzt zu tun hatte.
Danica betätigte den Summer, um mich hineinzulassen. Langsam ging ich durch den Hof, staunend, dass der Frühling hier schon im Februar Einzug gehalten hatte. Bevor ich noch an die große, rote Tür klopfen konnte, öffnete Matilda mir bereits, ein erwartungsvolles Lächeln auf dem Gesicht.
»Cassie. Willst du dir deinen letzten Charm abholen?«
»Ja.«
»Du hast also eine Entscheidung getroffen.«
»Das habe ich.«
»Sagst du uns Lebewohl, oder wählst du
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