Seekers - Am Großen Bärensee - Hunter, E: Seekers - Am Großen Bärensee - Seekers, Great Bear Lake
gehabt, dachte sie , das ist jetzt meine Beute. Du musst dir etwas Neues fangen.
Kallik kehrte, den Magen angenehm gefüllt, in das nahe gelegene Gebüsch zurück und rollte sich am Fuß eines Baums zum Schlafen zusammen. Als sie wieder erwachte, hatte sich Nebel über die Landschaft gelegt, und das dämmrige Licht verriet Kallik, dass es Abend wurde. Sie riss das Maul zu einem gewaltigen Gähnen auf und leckte sich noch ein paarmal über die Wunde am Bein. Sie spürte immer noch einen dumpfen Schmerz. Dann schüttelte sie sich das Laub aus dem Pelz und schnupperte. Ihre Lebensgeister erwachten, als sie Wasser witterte. Möglicherweise war sie nicht mehr weit von dem Ort entfernt, an dem sich die Bären versammelten, um auf die Rückkehr des Eises zu warten.
»Vielleicht wartet da ja Taqqiq auf mich«, sagte sie laut.
Den Wind im Gesicht, machte sie sich auf den Weg und folgte dem Wassergeruch. Das Dämmerlicht wurde schwächer, bis sie schließlich in völliger Dunkelheit wanderte, doch die Witterung leitete ihre Schritte.
An dem nicht enden wollenden Anstieg eines Hügels überkam sie die Müdigkeit. Ihre Beine wurden immer schwerer und der Hunger nagte wieder an ihrem Magen. Doch da das gesuchte Wasser nicht weit sein konnte, gab sie nicht auf.
Schließlich erreichte sie den Gipfel des Hügels und blickte nach unten. Vor ihr fiel das Gelände steil ab. Wenige Bärenlängen vor ihr lag eine dunkle Wasserfläche.
Doch das war nicht der Ort, den Kallik gesucht hatte. Weit und breit gab es kein Eis, keine anderen Bären. Sie hörte nur das Wasser sanft gegen das Schilfrohr schwappen, das am Ufer stand. Kallik dachte an die endlosen Weiten glitzernden Eises, in denen sie geboren worden war, und meinte, ihr würde vor Sehnsucht das Herz zerspringen.
»Wo bin ich?«, rief sie, doch es war kein Bär in der Nähe, der ihr hätte antworten können. »Was geschieht mit mir?«
Sie blickte hinauf in den Nachthimmel, in der Hoffnung, dass der Wegweiserstern sie in der Dunkelheit leiten könnte. Doch über ihr war nichts als Nebel. Wieder machten sich Angst und Ratlosigkeit in Kallik breit und sie kam sich hilflos vor wie ein Fisch an Land. Sie roch Salz und Algen, doch von dem Eis, nach dem sie sich so sehnte, gab es weit und breit keine Spur. Sie würde sich weiter durchkämpfen müssen, um es zu finden, dabei wusste sie nicht einmal, welche Richtung sie einschlagen musste.
Kallik stolperte den Abhang nach unten und bahnte sich einen Weg durch kümmerliche Pflanzen und Felsbrocken zum Ufer. Sie kletterte auf einen dunklen Felsen, der sich aus dem Wasser erhob, ließ sich nieder und blickte hinaus auf die tiefblaue Weite.
Der Wind frischte auf, rüttelte am Schilfgras und kräuselte die Wasseroberfläche. Obwohl ihr ihre Mutter erklärt hatte, dass alles Wasser geschmolzenes Eis sei, kam Kallik dieser sonderbare Ort alles andere als vertraut vor. Vielmehr schien die Dunkelheit sie ins Wasser zu locken. Sie musste daran denken, wie ihre Mutter Nisa sie vor den Orcas beschützt hatte, und sie musste gegen die Versuchung ankämpfen, ihrer Mutter ins Wasser zu folgen, sich von ihm einschließen, sich zudecken zu lassen. Dann müsste sie nicht mehr kämpfen und vielleicht würde sie unter der unruhigen Oberfläche die Seele ihrer Mutter finden.
Kallik streckte die Tatze aus, um die Wellen zu berühren.
Taaaaa-qqiiiq.
Sie zog die Tatze zurück und spitzte die Ohren.
Das Wasser klatschte gegen die Felsen und der Wind rauschte im Schilfgras. Es klang wie das Flüstern der Eisseelen.
Taaaaa-qqiiiq. Da war es wieder.
Eine Welle der Scham schlug über Kallik zusammen. Fast hätte sie aufgegeben. Dabei hatte ihr ihre Mutter doch im Traum erklärt, dass sie stark sei, und Nanuk hatte das auch gesagt. Kallik fühlte sich nicht stark, aber sie musste weitergehen. Der Klang von Taqqiqs Namen im Wind rief ihr in Erinnerung, dass sie dieses Leben nicht verlassen durfte, ohne herausgefunden zu haben, was mit ihrem Bruder geschehen war.
»Eisgeister, wo soll ich hin?«
Sie blickte nach oben. Der Nachthimmel war trübe und sternlos und wies ihr keine Richtung. Sie schloss die Augen und versuchte sich den Wegweiserstern vorzustellen. Der Gedanke an das markerschütternde Brüllen des Schwirrvogels und die tosenden Flammen vernebelten ihr das Gehirn. Als sie die Augen wieder öffnete, war von dem Stern immer noch nichts zu sehen.
»Wo bist du?«, rief Kallik. »Ich brauche dich.«
Mit hängendem Kopf starrte sie auf die Wellen,
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