Seelenlos
»Vielleicht für ein Jahr, und dann sehen wir weiter. Ich muss es bloß eine Weile ein wenig einfacher haben.«
»Arbeitest du eigentlich wieder im Grill?«, fragte der Pfarrer.
»Nein. Im Grill ist unheimlich viel los, und draußen im Reifencenter ist es kaum besser. Ich brauche zwar eine nützliche Arbeit, um mich zu beschäftigen, aber die würde ich lieber dort finden, wo es … ruhiger ist.«
»Selbst als Laie, der keine religiösen Unterweisungen erhält, müsstest du im Einklang mit dem spirituellen Leben des Ordens stehen, der dich aufnimmt.«
»Das würde ich, Sir. Im Einklang stehen, meine ich.«
»Welche Art Arbeit stellst du dir denn vor?«
»Gärtnern. Anstreichen. Kleine Reparaturen. Den Boden schrubben, die Fenster putzen, solche Dinge. Wenn die Mönche wollen, kann ich auch für sie kochen.«
»Wie lange denkst du schon darüber nach, Odd?«
»Seit zwei Monaten.«
Der Pfarrer sah Chief Porter an. »Spricht er mit Ihnen auch schon so lange darüber?«
»So in etwa«, bestätigte der Chief.
»Dann ist es keine unbedachte Entscheidung.«
Der Chief schüttelte den Kopf. »Odd ist kein unbedachter Mensch.«
»Ich glaube nicht, dass er vor seiner Trauer davonläuft«, sagte Pfarrer Llewellyn. »Oder darin versinken möchte.«
»Ich muss einfach mein Leben vereinfachen«, sagte ich, »damit ich Ruhe zum Nachdenken habe.«
»Als sein Freund, der ihn besser kennt als ich«, sagte der Pfarrer zu Chief Porter, »und als ein Mensch, zu dem er offenkundig aufschaut – haben Sie da noch irgendwelche anderen Gründe, weshalb Sie meinen, Odd sollte auf seinen Plan verzichten?«
Der Chief schwieg einen Augenblick. »Ich weiß nicht, was wir ohne ihn tun sollen«, sagte er dann.
»Ganz gleich, wie sehr Odd Ihnen hilft, Chief, es wird trotzdem immer neue Verbrechen geben.«
»Das meine ich nicht«, sagte Chief Porter. »Ich meine … ich weiß nicht, was wir ohne dich machen sollen, mein Junge.«
Seit Stormys Tod lebte ich in ihrer Wohnung. Die Räume selbst bedeuteten mir weniger als die Möbel, die Bilder und die persönlichen Dinge, die Stormy gesammelt hatte. Das wollte ich nicht einfach verscherbeln.
Mithilfe von Terri und Karla packte ich Stormys Siebensachen in Kartons, und Ozzie bot an, alles in einem nicht bewohnten Zimmer seines Hauses zu verwahren.
An meinem vorletzten Abend in Stormys Wohnung saß ich gemeinsam mit Elvis im warmen Licht einer alten Stehlampe mit perlenverzierten Fransen und lauschte Songs aus den ersten Jahren seiner steilen Karriere.
Er hat seine Mutter über alles geliebt. Im Tod wünscht er sich offenbar nichts sehnlicher, als sie zu sehen.
Einige Monate, bevor sie starb – das kann man in vielen Büchern über ihn lesen –, machte sie sich Sorgen, dass ihm der Ruhm zu Kopf gestiegen war und dass er die Richtung verlor.
Dann verstarb sie jung, noch bevor er den Gipfel des Erfolgs erreicht hatte, und danach veränderte er sich. Obwohl er jahrelang immens um seine Mutter trauerte, vergaß er ihren Rat. Mit jedem Jahr lief sein Leben weiter aus dem Ruder, und das, was sein Talent versprochen hatte, kam kaum halb zur Blüte.
Als Elvis vierzig war – auch das steht in den Biografien –, wurde er von der Vorstellung gequält, er habe sich nicht so verhalten,
dass seine Mutter stolz auf ihn gewesen wäre. Er meinte, sie hätte sich wegen seines Drogenkonsums und seines ausschweifenden Lebensstils für ihn geschämt.
Nach seinem Tod mit zweiundvierzig Jahren ist er offenbar hiergeblieben, weil er genau das fürchtet, was er am meisten ersehnt: das Wiedersehen mit Gladys Presley. Früher dachte ich, er würde diese Welt, die so gut zu ihm war, zu sehr lieben, aber das ist es nicht, was ihn gefangen hält. Er weiß, dass seine Mutter ihn liebt und ihn ohne ein Wort der Kritik in die Arme schließen wird, aber er brennt vor Scham, weil er zwar der größte Star der Welt geworden ist, aber nicht der Mensch, den sie sich erhofft hatte.
In jener anderen Welt wird sie sich freuen, ihn aufzunehmen, aber er hat das Gefühl, er sei es nicht wert, mit ihr zusammen zu sein, weil er meint, sie lebe nun in der Gesellschaft von Heiligen.
An meinem vorletzten Abend in Stormys Wohnung habe ich diese Theorie vor ihm ausgebreitet.
Als ich fertig war, traten ihm Tränen in die Augen, die er dann lange Zeit geschlossen hielt. Als er mich endlich wieder ansah, nahm er eine meiner Hände in seine.
Das ist also wirklich der Grund, weshalb er hier verweilt. Leider reicht meine
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