Seelenprinz
Wunschdenken. Seine Igelfrisur stand in sämtliche Richtungen ab. Um seinen Hals schmiegte sich eine Fahrradkette, aber kein modisches Accessoire von Urban Outfitters, sondern das Ding, das zuvor sein Rennrad angetrieben hatte.
Alles in allem sah er aus wie ein Einbrecher, der hier gleich alles kurz und klein schlagen würde auf der Jagd nach Tafelsilber, Schmuck und tragbaren Elektrogeräten.
Der Witz war, dass sein Gothic-Look in den Augen seiner Familie noch nicht einmal das Anstößigste an ihm war. Im Grunde hätte er sich genauso gut nackt ausziehen, eine Taschenlampe zwischen die Pobacken klemmen und durch das Erdgeschoss rasen können, um Kunstgegenstände und Antiquitäten mit dem Baseballschläger zu bearbeiten– seine Familie hätte dies nicht annähernd so problematisch empfunden wie seinen wahren Defekt.
Seine Augen.
Eins blau. Eins grün.
Hoppla. Was für ein Pech.
Die Glymera schätzte keine Makel. Weder an ihrem Porzellan noch in ihren Rosengärten. Nicht an den Tapeten oder Teppichen oder Arbeitsoberflächen. Nicht an der Seide ihrer Unterwäsche, der Wolle ihrer Blazer oder dem Chiffon ihrer Kleider.
Und ganz bestimmt niemals an ihren Kindern.
Die Schwester war ganz annehmbar– mal abgesehen von ihrem » kleinen Gewichtsproblem«, das gar nicht existierte, und dem Lispeln, das die Transition nicht behoben hatte– ach ja, und abgesehen von der Tatsache, dass sie den Charakter ihrer Mutter geerbt hatte, wogegen man leider nichts tun konnte. Sein Bruder hingegen war der Star, ein körperlich einwandfreier Erstgeborener, der den Fortbestand der Blutlinie sichern würde, indem er sich in einem äußerst gediegenen Akt ohne Schweiß und Gestöhne mit einer Vampirin vereinen würde, die seine Familie für ihn ausgewählt hatte.
Scheiße, die Empfängerin seines Spermas hockte bereits in den Startlöchern. Er würde sich mit ihr verbinden, sobald er seine Transition durchlaufen hatte…
» Wie fühlst du dich, mein Sohn?«, erkundigte sein Vater sich zögerlich.
» Müde, Sir«, antwortete eine tiefe Stimme. » Aber das hier wird mir guttun.«
Qhuinn lief es eiskalt über den Rücken. Diese Stimme klang nicht nach seinem Bruder. Sie war viel zu tief. Viel zu männlich. Viel zu…
Heilige Scheiße, der Kerl hatte seine Transition durchlaufen.
Jetzt setzten sich Qhuinns Ed Hardys doch noch in Bewegung, bis er ins Esszimmer blicken konnte. Sein Vater saß am Kopf der Tafel. Wie üblich. Seine Schwester blickte in die Gegenrichtung und konnte sich vor Hunger kaum zurückhalten, den Goldrand von ihrem Teller zu lutschen. Alles wie immer.
Aber der Kerl, der mit dem Rücken zu Qhuinn saß, war alles andere als der gewohnte Anblick.
Luchas war doppelt so groß wie vor zwei Tagen, als Qhuinn von einem Doggen angewiesen wurde, seine Sachen zu packen und zu Blay zu verschwinden.
Deshalb also der Urlaub. Qhuinn hatte gedacht, sein Vater hätte eingelenkt und ihm erlaubt, worum er schon seit Wochen gebeten hatte. Irrtum, er wollte Qhuinn nur aus dem Haus haben, weil die Verwandlung seines Goldstücks bevorstand.
Hatte sein Bruder die Mieze flachgelegt? Wessen Blut hatten sie wohl benutzt…
Sein Vater, verklemmt wie eh und je, streckte die Hand nach Luchas aus und tätschelte unbeholfen seinen Unterarm. » Wir sind so stolz auf dich. Du siehst… vortrefflich aus.«
» Das tust du«, fiel Qhuinns Mutter ein. » Wirklich vortrefflich. Sieht dein Bruder nicht vortrefflich aus, Solange?«
» Doch, das tut er. Vortrefflich.«
» Ich habe hier etwas für dich«, sagte Lohstrong.
Er griff in die Innentasche seiner Sportjacke und brachte ein schwarzes, samtbezogenes Kästchen in der Größe eines Baseballs zum Vorschein.
Qhuinns Mutter musste sich Tränen aus den Augenwinkeln tupfen.
» Das ist für dich, mein Teuerster.«
Er schob das Kästchen über die weiße Tischdecke aus Damast, und Qhuinns Bruder ergriff es mit seinen neuen Pranken, die zitterten, als er den Deckel öffnete.
Das Gold funkelte bis zu Qhuinn in die Diele.
Die Tischrunde verstummte. Sein Bruder blickte überwältigt auf den Siegelring, während sich die Mutter weiter die Augen wischte und selbst sein Vater einen feuchten Blick bekam. Qhuinns Schwester schnappte sich indessen unauffällig ein Brötchen aus dem Brotkorb.
» Danke, Sir«, sagte Luchas und steckte den schweren Goldring an den Zeigefinger.
» Er passt doch, oder?«, erkundigte sich Lohstrong.
» Ja, Sir. Wie angegossen.«
» Dann haben wir die gleiche
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