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Seeraeuber vor Sylt

Titel: Seeraeuber vor Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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    Sturm über Sylt
    »Broder, Broder! Es soll Sturm aufkommen!« Jaike rannte so schnell, dass sie auf dem Sandweg fast ihre Holzschuhe verlor. Die ersten dicken Regentropfen hatten den Strand schon dunkel gefärbt und der Wind fegte über die Bucht von Rantum.
    Broder drehte sich um und streckte den Rücken, der ihm vom langen Hocken auf dem Boden schmerzte. Fast zwei Stunden saß er nun schon hier und half dem alten Pidder beim Ausbessern seiner Fischernetze. Die Finger hatte er sich dabei blutig gerissen. Aber noch hatte er seinen Lohn nicht bekommen, der aus einem Eimer Heringen bestand. Und so arbeitete er weiter und hob nur kurz den Kopf mit den verfilzten blonden Haaren.
    »He, Jaike«, antwortete er und nickte dem Mädchen freundlich zu.
    Sie kniete neben ihm nieder. »Es soll heftiger Sturm aufkommen, verstehst du?«, wiederholte sie. Ihre Stimme klang verschwörerisch.
    Prüfend schaute Broder über das Watt gen Osten,wo sich der Himmel wie ein graues Tuch zum Horizont spannte. Keine Wolke war zu sehen. Aber Broder wusste, dass Jaike sich nicht irrte. Wer am Meer aufgewachsen war, der konnte den Sturm wittern wie ein Reh den Fuchs, der sich anschleicht. Als er den Kopf in die andere Richtung drehte, sah er die fast schwarze Wolkenmasse, die sich vom offenen Meer auf die Insel zuschob.
    Jaike legte ihm die Hand auf den Arm. »Komm schon«, drängte sie. »Der Wind dreht auf. Wir müssen uns beeilen.«
    Broder warf einen Blick zu Pidder hinüber. Der friemelte mit seinen knorrigen Fingern die Knoten in den Netzen so flink auf, dass es aussah, als würden sie sich von selbst entwirren. Trotzdem hatte er genau mitbekommen, was das Mädchen von Broder wollte.
    »Dübel ouk, was heckt ihr zwei Teufelsbraten wieder aus?«, brummte er. Dann stieß er mit dem Fuß gegen den Heringseimer, der neben ihm stand. »Nun geh schon, Junge. Aber passt auf, dass euch der Strandvogt nicht erwischt.«
    Broder sprang auf und griff nach dem Eimer. Schnell weg, ehe Pidder es sich anders überlegte. Er stapfte hinter Jaike her, die mit langen Schritten vorauseilte.Sie wollte am Dorf vorbei zur Westseite der Insel, das war klar.
    »Warte doch«, rief er. »Wir haben noch jede Menge Zeit. Nur weil der Wind ein bisschen pustet, rennst du gleich los wie ein kopfloses Huhn.«
    Ohne auf Jaikes Protest zu achten, drehte er in Richtung der Katen ab, die den Dorfrand säumten. Sehnsüchtig betrachtete er den Eimer mit den dicken glänzenden Heringen. Jetzt ein Feuerchen machen und einen der Fische knusprig braten … Broder hatte am Morgen nur ein Stück Brot gegessen. Der Gedanke an ein warmes Essen machte ihn fast schwindlig.
    Aber Jaike hatte recht. Bei so einem Unwetter, wie es sich da im Westen zusammenbraute, konnte ihnen ein weitaus dickerer Fisch ins Netz gehen. Vielleicht sogar ein goldener!
    Er stellte den Eimer neben die lehmverputzte Kate von Jaikes Mutter, in der er seit einigen Monaten schlief. Dann rannte er hinter seiner Freundin her.
    Mit seinen elf Jahren hatte Broder schon in vielen der schäbigen Hütten im Dorf gewohnt. Für ein paar Wochen kam er hier unter, für ein paar Monate da. Die Rantumer Fischer, Torfstecher und Salzsiederhatten ihn aufgenommen wie eine streunende Katze.
    Broder war erst sechs Jahre alt gewesen, als sein Vater nach einer stürmischen Nacht nicht vom Fischen zurückkam. Seine Mutter hatte er nie gekannt. Sie war bei seiner Geburt gestorben. Auch das hatte sich in einer sturmgepeitschten Nacht zugetragen, in der der Regen waagerecht über die Insel fegte.
    Und trotzdem liebte Broder den Sturm und den Regen. Wenn der Himmel blau war und die Sonne das Meer glitzern ließ, dann schaute er oft verloren auf die See hinaus. Vielleicht passte sein hartes Leben, das aus fast nichts anderem als Arbeit bestand, nicht zu so einer leuchtend hellen Welt. Aber das Düstere und Wilde der Herbststürme weckte alle Lebensgeister in ihm. Wenn er dann Seite an Seite mit den Fischern die Boote an Land zog, jubelte er manchmal laut. »De lüdde Broder spinnt«, sagten die Männer dann und lachten gutmütig.
    Alle im Dorf mochten den kräftigen Waisenjungen, vor allem, weil er gut mit anpacken konnte. Wo immer es etwas zu tun gab, beim Torfstechen, Salzsieden oder Fischen, ackerte er von früh bis spät, bis ihm die Knie weich wurden und er die Arme vor Schmerzen nicht mehr heben konnte.
    Als Broder jetzt hinter Jaike her über die Insel jagte, stieg ihm der brenzlige Geruch der Torffeuer in die Nase, der

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