Segel der Zeit
wurde. »Nicht mehr. Und nein ⦠Ein Schwärmer kann nicht dazugehören. Sie binden sich nicht an einzelne Menschen â nur an die ganze Menschheit. «
»Aber was â¦Â«
»Antaea! Wie schön, dich zu sehen.« Gonlin trat ins Zwielicht vor der Baracke. Hinter ihm standen mehrere groÃe Männer und verdeckten das Licht aus dem Innern.
Gonlin wirkte müde, aber entspannt. Einst hatte er Antaea mit seiner gelassenen Ruhe beeindruckt. Jetzt hatte seine Herzlichkeit einen falschen Ton. Er streckte ihr die Hand entgegen, und sie war so verblüfft über diese dreiste Heuchelei, dass sie tatsächlich zugriff und sie schüttelte. Gonlin strahlte die anderen an, als wäre damit etwas bewiesen.
»Ich danke dir«, sagte er, und es klang, als käme es von Herzen. »Und das ist also Chaison Fanning! Du konntest ihn wohl selbst nicht zum Reden bringen, sonst hättest du ihn nicht mitgebracht.«
Sie schlug unwillkürlich die Augen nieder. »Nein«, entgegnete sie knapp.
»Das macht nichts«, beschwichtigte Gonlin. »Es war eine Meisterleistung, ihn überhaupt in die Hand zu bekommen â wenn man bedenkt, dass die Soldaten zweier Nationen hinter ihm her sind. Du warst schon immer unsere beste Spezialagentin, Antaea, deshalb mussten wir dir diese Aufgabe übertragen.«
»Wo ist meine Schwester?«
»Gleich dort drüben.« Er deutete auf eine der etwas abseits gelegenen Baracken. Sie sah im Fenster des kleinen Kastens einen schwachen Lichtschein.
»Antaea, ich möchte in allen Einzelheiten hören, wie du das gemacht hast«, fuhr Gonlin fort. »Aber ich weiÃ, dass du wütend bist und Angst um Telen hast. Geh zuerst zu ihr, danach können wir reden.«
»Reden â¦? Gonlin, wenn du ihr wehgetan hast â¦Â«
Er sah sie verständnislos an. »Wehgetan? Antaea, es war doch ihre Idee.«
Das verschlug ihr die Sprache. Gonlin schüttelte mit Leidensmiene den Kopf. »Du hast geglaubt, Telen zu
kennen, aber in Wirklichkeit kannte sie dich . Sie wusste, was dich motivieren würde. Und sie begreift, was Sachzwänge sind, Antaea, auf eine Art und Weise, wie du es nie begriffen â¦Â«
Was er weiter sagte, war für sie nur sinnloses Geplapper. Sie fuhr herum und eilte auf die Baracke zu, auf die er gezeigt hatte.
Von hinten kamen weitere Worte: Chaisons Stimme. »Vorsicht! Er will dich nur reizen!« Sie hörte einen dumpfen Schlag, dann hektisches Scharren. Eine Tür knallte zu.
Antaea glitt zwischen den beiden grauen Felswänden dahin und drehte sich langsam um sich selbst. Er will dich nur reizen! Was hatte ihr Chaison damit sagen wollen?
»Antaea, warte!« Erik kam ihr nach. Sie lieà sich nicht beirren und hielt erst an, als er sagte: »Gonlin wollte, dass ich dich begleite.«
Sie fuhr herum. »Bin ich jetzt auch schon eure Gefangene? Muss ich das so verstehen?«
Er wandte den Blick ab. »Antaea, es tut mir leid. Wir erfuhren erst, als du schon weg warst, was Gonlin geplant hatte.«
»Nimm es mir nicht übel, aber das glaube ich dir nicht«, höhnte sie. »Und? Sollst du mich hier festhalten? Oder kann ich meine Schwester nehmen und gehen, wie Gonlin es versprochen hat?«
Er wich zurück. »Sicher, sicher.« Er hatte ein berechnendes Funkeln in den Augen, aber Antaea konnte nicht erkennen, was in seinem Kopf vorging. Sie drehte sich abermals und stieà sich von der Felswand ab.
Die Baracke, ein primitiver Holzwürfel mit drei Metern Seitenlänge, lag genau vor ihr. Sie hatte nur eine
einzige Tür und kleine, staubige Fenster in den übrigen Wänden. Dahinter lag alles im Dunkeln.
Sie musste in Erfahrung bringen, ob Gonlin sie belog. Wenn sich Telen tatsächlich in dieser besseren Kiste befand, war sie dann eine Gefangene, oder war sie frei? Was würde sie sagen, wenn Antaea sie zur Rede stellte â würde sie ihrer Schwester weinend in die Arme fallen oder ihr mit Kälte begegnen?
Antaea bremste kurz vor der Baracke am Felsen ab. Sie griff nach dem rostigen Riegel, dann zögerte sie. Diese blinde Hast war genau das, was Gonlin hatte erreichen wollen. Das hatte Chaison gemeint: Gonlin hatte sie gezielt provoziert, damit sie diese Tür aufstieÃe, ohne sich zu fragen, was wohl dahinter auf sie wartete.
Warum sollte er das tun?
Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Ihre Finger verharrten zitternd zwei
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