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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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erleuchteten Fenstern vorbeikam, hinter denen man sich die verschiedensten Begebenheiten ausmalen konnte, bedauerte Antaea unwillkürlich, gewisse Entscheidungen nicht getroffen zu haben. Sie musste sich selbst daran erinnern, dass ihr Leben ein Ziel hatte, und dass sie erst nach Hause zurückkehren konnte, wenn dieses Ziel erreicht war.
    Richard hatte Chaison eine Adresse genannt. Nun, auch Antaea hatte eine Adresse, auswendig gelernt wie die Adressen in einem Dutzend anderer Städte und Habitate. Ergez, der treue ehemalige Mitarbeiter des Heimatschutzes, hatte sie ihr mitgegeben.
    In drei Dimensionen durch eine Stadt zu fliegen, war für Antaea eine Selbstverständlichkeit. Sie suchte nach Straßenschildern, die sich hier an die üblichen Konventionen hielten: Sie zeigten drei Pfeile, rot, gelb und blau, die an den Enden verbunden waren und die x-, y- und z-Achse der Stadt darstellten. Adressen bestanden immer aus drei Ziffern, die die Entfernung eines Punktes vom amtlichen 0;0;0;-Punkt angaben. Sie folgte korkenzieherförmigen
Hauptverkehrsadern und flog zwischen parallelen Fassaden- und Waldflächen entlang, vorbei an Gruppen von Anwesen, die in verschnörkelten schmiedeeisernen Käfigen von mehreren Hundert Metern Durchmessern zusammengefasst waren. Und sie verirrte sich nicht.
    Die Bar, von der Ergez gesprochen hatte, hatte trotz der späten Stunde noch geöffnet. Sie band ihr Bike fest und schnellte auf die Seilschlingen zu, die aus dem Eingang ragten. Dabei verfehlte sie nur knapp ein Fähnchen mit der Aufschrift: LACHEN MIT CORBUS. Drinnen bekam ihre Zuversicht einen Dämpfer, denn es ging zu wie in einem Wespennest, und sie erkannte niemanden. Endlich entdeckte sie ihre Kontaktperson an der Theke.
    Die Theke war nur ein Messingrohr mit vielen Becherhaltern. Auf der einen Seite hingen die Gäste in der Luft, auf der anderen schwebten die Bedienungen hin und her. Der Mann mit dem Babygesicht, an dessen Seite sie sich drängte, hatte etwa ein Dutzend leere Gläser mit Schraubdeckel vor sich stehen, und sein Blick war verschwommen. »Raham«, sprach sie ihn an und fasste ihn am Arm. »Ich bin hier.«
    Er starrte sie sekundenlang an, dann seufzte er: »Verdammt. Die Wette habe ich verloren.«
    Â»Gonlin«, fragte sie. »Ist er auch da?«
    Raham schüttelte den Kopf, und das war offenbar ein Fehler. Er brauchte eine halbe Minute, um Antaea wiederzufinden (die keinen Meter von ihm entfernt war), dann lallte er. »Der ganze verdammte Haufen ist gestern nach Schlipschtream abgeflogen. Hast du ihn?«

    Sie nickte. Rahams Gesicht hellte sich auf. »Großartig. Dann … kann ich ja weitermachen.« Er drehte sich um, verlor den Halt und stieß gegen die Theke.
    Eine vorbeigleitende Kellnerin rief: »Spucktüte auf Vierzehn!« Alle Gäste im Umkreis orientierten sich neu, um Raham im Auge behalten zu können.
    Â»â€™tschulligung«, stammelte Raham. »’tschulligung. Hatte nicht gedacht, dass du noch kommst. Dachte … die hätten mich allein zurückgelassen.«
    Â»Raham.« Wieder fasste sie ihn am Arm. »Ich verstehe das nicht. Warum sind sie abgereist?«
    Er wandte verlegen den Blick ab – die Verschlagenheit in Person. »Es … es iss was gekommen«, sagte er endlich. »Aus’m Winter. Wir mussten abhauen, sonst hätt es uns erwischt.«
    Â»Was? Verdammt, Raham, rede doch vernünftig!« Etwas hatte sie verfolgt? Nicht Jemand ?
    Raham sprach hastig weiter. »Na ja, Gonlin meinte, die Changsen für ein Rende…, für ein Rend… – für ein Treffen wären in Schlipschtream besser, denn da wollte Fanning sowieso hin. Außerdem is’ da kein Krieg. Also hat er die ganze Operation verlegt, bis auf mich natürlich, ich sollte hier auf dich warten.« Er nickte bedächtig, und dabei fielen ihm die Augen zu.
    Sie schüttelte ihn. » Wo in Slipstream? Verdammt, Raham, wo ist der Treffpunkt?«
    Er raffte sich weit genug auf, um ihr die Adresse zu nennen, dann schlief er endgültig ein. Antaea bezahlte seine Rechnung und winkte einen der Türsteher heran. »Bringen Sie ihn in Schwerkraft, damit er nicht in seiner eigenen Kotze ersäuft.« Dann schwebte sie hinaus zu ihrem Bike und schoss, ohne sich noch einmal
umzusehen, hinein in die Helligkeit und das Chaos der Stadt.
    Â 
    Antaea hatte nicht die geringste Lust, zu Chaison zurückzukehren. Sie

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