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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Pastellfarben. Der Nachtzyklus wäre an sich eine Phase des Friedens gewesen, aber das Strandgut, das die Flut zurückgelassen hatte, machte den Aufenthalt im Freien gefährlich. Alles – sogar verirrte Kugeln und Raketen aus der fernen Schlacht – mochte durch die Dunkelheit geflogen kommen und einen treffen. So atmete Chaison erleichtert auf, als er die Straße entdeckte.
    Es war ein einfaches Seil, an dem in Abständen von einem Kilometer verspiegelte Bojen mit bunten Fähnchen angebracht waren. Das Seil drehte und schlängelte sich von unten herauf und führte schräg von der Flut weg, die allmählich kleiner wurde. Hunderte von Schiffen flogen in geordneten Reihen daran entlang. Die Ströme gingen in beide Richtungen, aber der eine
war viel dichter als der andere. Nur ein dünnes Rinnsal steuerte auf die Schlacht zu, während viele besonders schöne Exemplare – Jachten und Kajütboote – durch den offenen Luftraum auf das Herz der Falkenformation zuflogen.
    Chaison beobachtete, wie ein Laternenanzünder sein Bike neben einer Straßenboje festmachte. Er beugte sich mit einer sparsamen, oft geübten Bewegung vor und startete den Motor der Boje. Der kleine Zweitakter saugte nun Luft für das Leuchtfeuer an. Der Laternenanzünder flitzte zur nächsten Boje weiter, und nach einer Weile zog sich eine ganze Sternenkette über den Himmel. Erleichtert reihte sich Chaison in die dichtere der beiden Verkehrskolonnen ein, wo die fremden Scheinwerfer auch ihm die Sicht ermöglichten.
    Sie zogen an ihrem Sternenband entlang, vorbei an grauen Wolken. Jenseits davon vertiefte sich die Dunkelheit. Weit hinter ihnen zuckten weiße Blitze und das Feuerwerk eines erbitterten Kampfes über den Himmel. Der Jet des Bikes machte so viel Lärm, dass Chaison sonst nichts hören konnte, aber die Stimmung war eigentümlich lauernd; er blendete das Dröhnen des Motors aus und nahm nur noch die erhabene Majestät des Wolkentanzes wahr.
    Diese Wolken waren fast so schwarz geworden wie der Himmel, als sie sich teilten und das Ende der Straße sichtbar wurde. Sie führte in eine Stadt, eine der schönsten, die Chaison jemals gesehen hatte.
    Weder er noch Antaea sprachen ein Wort, als der Verkehr mit einer Lichterkolonne verschmolz, die durch den Tunnel einer riesigen Allee schwebte. Auf allen Seiten leuchtete es bernsteingelb aus den Fenstern, der
Schein wurde aufgefangen und gefiltert von zahllosen Blättern. Die großen und kleinen Häuser der Stadt schmiegten sich zwischen Bäume – Millionen von Bäumen – , deren Äste sich an manchen Stellen mit denen ihrer Nachbarn verschlangen. Die so entstandene lockere Absperrung verhinderte, dass die Gebäude abdrifteten, und auf diese Weise hatte die Stadt im Lauf der Jahre eine feste Form erhalten. Chaison flog im Schein von Straßenlampen durch grünliche Wolken, da und dort öffneten sich kleine und größere Straßen, auf denen sich Männer und Frauen mit Flügeln, Kinder mit Fußflossen, Delfine, Boote, Bikes, Taxis, Vögel und Fische mit Riesenflossen tummelten. Nach einer Weile stellte er den Motor ab, und sie ließen sich mit dem Strom treiben. Sie lauschten dem Brummen der Motoren, dem Singsang der Gespräche, dem Gelächter und der Musik einer lebendigen, dynamischen Stadt.
    Einige Spuren hatten die Erschütterungen draußen am Himmel dennoch hinterlassen. In Hotels wurden Familien, die ihre wenigen Habseligkeiten an sich drückten und sich verwirrt umsahen, von übermüdeten Türstehern abgewiesen. In dunklen Sackgassen drängten sich Fahrzeuge neben ihren Besitzern, die schliefen oder sich eine Mahlzeit kochten. Doch im Großen und Ganzen hatte der Krieg diesen Ort noch nicht erreicht.
    Antaea berührte Chaison an der Schulter. »Das Zeichen – das muss Stonecloud sein.«
    Er nickte. »Du kennst es? Der Heimatschutz hat hier sicherlich eine Niederlassung.«
    Sie antwortete nicht. Er wartete kurz, dann drehte er sich zu ihr um. Antaea zuckte die Achseln und lächelte müde. »Können wir uns darauf verständigen,
eine Weile nicht über den Heimatschutz zu reden?«, fragte sie.
    Chaison kniff überrascht die Augen zusammen – dann erinnerte er sich an Antaeas Streit mit Ergez, kurz bevor Songly sich in seine Bestandteile auflöste. »Ganz wie du willst«, sagte er, verschränkte die Arme und musterte

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