Segel der Zeit
stirnrunzelnd den Verkehrsstrom. »Richard ⦠hatte Verbindung zum Schwarzmarkt in Songly aufgenommen. Er erwähnte eine Gruppe von Schmugglern in Stonecloud, obwohl wir eigentlich gar nicht vorhatten, hierherzukommen.«
Sie fragte nicht nach, wieso Richard sich für Schmugglerrouten interessiert hatte. »WeiÃt du noch, wo sie zu finden sind?«
»Ich denke schon«, antwortete er und beugte sich hinunter, um den Motor zu starten. »Ich glaube, heute Nacht würde ich mich bei ihnen sicherer fühlen als drauÃen im Freien.«
Sie nickte. Er wendete das Bike und fuhr in eine SeitenstraÃe, deren Namen Richard erwähnt hatte.
9
Die Adresse der Schmuggler existierte zwar, aber das achtseitige Gebäude war nur noch eine ausgebrannte Ruine, die von der Polizei mit Lederband abgesperrt worden war. Drinnen regte sich nichts. Antaea und Chaison starrten das Gemäuer eine Weile schweigend an; nur das Knistern und Knacken des abkühlenden Bikes war zu hören. Endlich stellte Chaison die naheliegende Frage: »Was nun?«
Antaea war über den trostlosen Anblick ungeheuer erleichtert, obwohl sie sich das natürlich nicht anmerken lassen wollte. »Wir sollten hier auf Richard und Darius warten«, schlug sie vor. »Einen Tag ⦠oder auch zwei. SchlieÃlich besteht nur eine schwache Chance, dass sie hierhergekommen sind.« Immer vorausgesetzt, sie haben Songly lebend verlassen, fügte sie in Gedanken hinzu.
Chaison lieà die Schultern hängen. »Vermutlich«, sagte er nach einer Weile. Seine Enttäuschung war mit Händen zu greifen, aber sie wappnete sich gegen alle Schuldgefühle. Sie war für ihn verantwortlich, sie hatten gemeinsam eine Menge erlebt, aber er war nicht ihr Freund. Das Ende ihrer Beziehung war vorab festgelegt.
Antaea wollte sich selbst nicht eingestehen, dass es ihr immer schwerer fiel, sich dieses Ende auszumalen.
Sie hatten sich bei der Flucht aus Songly gut ergänzt, und rückblickend war es sehr tröstlich gewesen, ihn an ihrer Seite zu haben. Es gab nicht viele Menschen, die sie sich in dieser Situation als Gefährten hätte vorstellen können. Aber nein: Das waren fruchtlose Ãberlegungen. Das Abenteuer zehrte an ihren Nerven, das war alles. Sie musste herausfinden, wann es vorbei wäre.
Sie banden sich mit den Gürteln an Haken in der ruÃgeschwärzten Eingangstür des Schmugglerhauses fest und versuchten zu schlafen. Zunächst erschien es ihnen vollkommen verrückt, hier in aller Ãffentlichkeit die Nacht zu verbringen: Würden die Bullen nicht kommen, um unerwünschte Besucher aufzustöbern? Doch angesichts der Ströme von Passanten wurde das immer unwahrscheinlicher. Nach einer Weile murmelte Chaison sogar schläfrig: »Teufel noch mal, wo bleiben sie denn?«
»Es ist sicher alles in Ordnung mit ihnen«, gab Antaea automatisch zurück â sie dachte an Richard und Darius.
»Nein, ich meine, wo bleibt die Polizei?«
»Ja«, räumte sie zögernd ein. »Das ist seltsam.«
Von hier aus wirkte die Stadt wie eine dichte Wolke aus Gebäuden und Baumgruppen, erleuchtet von zahllosen StraÃenlaternen und dem Schein, der aus den nach allen Richtungen zeigenden Fenstern fiel. Die Perspektiven wechselten schwindelerregend nach oben, unten und zu den Seiten; und überall gab es Menschen. Trotz der späten Stunde war die ganze Stadt auf den Beinen, und die Luft knisterte wie elektrisch aufgeladen. Aber keine Behördenfahrzeuge mischten sich unter die
Menge, keine Polizisten griffen ein, obwohl Streitigkeiten und Verkehrsstaus zunehmend häufiger wurden. Stoneclouds Wirkung auf alle Sinne war so überwältigend, dass es nicht verwunderlich war, wenn Chaison und Antaea so lange gebraucht hatten, um die Abwesenheit der gewohnten Ordnungshüter zu bemerken. Doch nun erschien ihnen die schlaflose Stadt dadurch noch bedrohlicher.
Das unruhige Gemurmel von den StraÃen begleitete sie bis in den Schlaf. Mitten in der Nacht wurden sie beide jäh aus ihren Träumen gerissen, weil sich ganz in der Nähe zwei Streithähne lauthals anbrüllten. Sie zwinkerten sich zu, zogen das Bike tiefer in den Eingang und suchten dahinter Schutz.
»Wer kümmert sich um diese Stadt?«, murmelte Chaison skeptisch. »Das ist grobe Fahrlässigkeit. Wenn sich ein Mann unter meinem Kommando das erlaubte, würde ich ihn sofort erschieÃen
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