Seherin von Kell
sehen und hören und lernen würden. Und als wir denn lernten, das Buch des Himmels zu lesen und dem Wispern in den Steinen zu lauschen, wurden uns unzählige Warnungen zuteil, daß zwei Geister zu uns kommen würden und daß einer gut und der andere böse war. Lange forschten wir, doch unsere Sorge schwand nicht, denn wir vermochten nicht zu erkennen, welcher Geist der wahre ist und welcher der falsche. Denn wahrlich, das Böse ist im Buch des Himmels als Gutes verkleidet und in der Sprache der Erde ebenso, und keinem Sterblichen ist die Weisheit gegeben, zwischen ihnen zu entscheiden.
Dies erwägend, nahmen wir Abschied von den Schatten der Berge Korims und wanderten in die Lande jenseits davon, wo wir ein Zuhause fanden. Und wir wandten uns von den Belangen der Sterblichen ab und widmeten uns ganz der Aufgabe, die vor uns lag. Unsere Hexen und Seherinnen bemühten sich um die Hilfe der Gei-sterwelt, unsere Nekromanten suchten Rat bei den Toten, und unsere Deuter lasen in der Erde. Doch, weh uns, niemand wußte mehr als wir.
So kamen wir denn auf einer fruchtbaren Ebene zusammen, um einander alles, was wir erforscht hatten, kundzutun und es zusam-menzufügen. Und dies ist, was wir von den Sternen, von den Steinen, aus den Herzen der Menschen und dem Denken der Geister erfahren haben:
Wisset, daß vom Anbeginn der Zeit Spaltung alles entstellt hat, was da ist – denn schon im Herzen der Schöpfung entstand Spaltung. Und einige haben gesagt, das sei natürlich und wird bis zum Ende aller Tage so sein, doch dem ist nicht so. Wäre der Spaltung Ewigkeit bestimmt, so müßte der Zweck der Schöpfung ihre Erhaltung sein. Doch Sterne und Geister und Stimmen in den Steinen verheißen den Tag, da die Spaltung enden und alles wieder eins wird, denn die Schöpfung selbst weiß, daß dieser Tag kommen wird.
Wisset denn auch, daß zwei Geister sich im Herzen der Zeit be-kämpfen, und diese Geister sind die beiden Seiten dessen, was die Schöpfung gespalten hat. Und zu einer bestimmten Zeit werden diese Geister sich auf dieser Welt begegnen, und dann wird die Zeit der WAHL kommen. Und wird die WAHL nicht getroffen, so verschwindet diese Welt und der Geliebte Gast, von dem die Seherin gesprochen hat, wird nie kommen. Denn es ist dies, was sie meinte, als sie zu uns sagte: ›Denn wisset, Er erwählt euch nur, wenn ihr Ihn erwählet.‹ Und die WAHL, die wir treffen müssen, ist die Wahl zwischen Gut und Böse und die Spaltung in Gut und Böse; und die Wirklichkeit, die sein wird, nachdem wir die Wahl getroffen haben, wird eine Wirklichkeit des Guten sein oder eine Wirklichkeit des Bösen, und sie wird bis zum Ende aller Tage währen.
Wisset auch dies: Die Steine dieser Welt und aller anderen Welten flüstern beharrlich von zwei Steinen, die am Ursprung der Spaltung zu finden sind. Dereinst waren diese Steine einer, und dieser eine ruhte im Herzen aller Schöpfung, doch wie alles andere wurde auch er gespalten, und im Augenblick der Spaltung riß er mit einer Gewalt auseinander, die ganze Sonnen vernichtete. Und wo diese Steine wieder aufeinandertreffen, wird es zum Endkampf zwischen den beiden Geistern kommen. Nun wird der Tag sich ergeben, der alles wieder eins macht, außer die beiden Steine; so mächtig war die Spaltung, daß sie nie mehr zusammengefügt werden können. Und an dem Tag, an dem die Spaltung endet, wird einer der Steine für immer aufhören zu bestehen; und an diesem Tag wird auch einer der beiden Geister für immer verschwinden.
Dies sind denn die Wahrheiten, die wir zusammengetragen hatten, und mit unserer Entdeckung dieser Wahrheiten endete das Erste Zeitalter.
Das Zweite Zeitalter der Menschheit begann mit Donner und Erdbeben, die Erde spaltete sich, und das Meer rauschte herbei, um die Lande der Menschen zu teilen, so wie die Schöpfung geteilt ist. Und die Berge von Korim erzitterten und ächzten und schwankten, als die See sie verschlang. Und wir wußten, daß es sich derart begeben würde, denn unsere Seher hatten uns gewarnt. So zogen wir aus und fanden Sicherheit, ehe noch die Welt gespalten war und das Meer sich erst zurückzog und dann wiederkam, um für immer zu bleiben.
Und in jenen Tagen, die der Wiederkehr der See folgten, flohen die Kinder des Drachengottes vor den Fluten und fanden ein neues Zuhause nördlich von uns, hinter den Bergen. Nun sagten unsere Seher, daß die Kinder des Drachengottes eines Tages als Eroberer über uns kommen würden. Und wir berieten uns miteinander und
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