Auch Du stirbst einsamer Wolf
Fritz Mertens
Auch du stirbst, einsamer Wolf
Vor kurzem wurde in einer vielbeachteten Fernsehsendung der Fall Fritz Mertens dokumentiert und diskutiert, die Frage lautete: Was prägt den Menschen, was bestimmt sein Verhalten? Vererbung, Umgebung, Erziehung? In seinen beiden Büchern Ich wollte Liebe und lernte hassen! und Auch du stirbst, einsamer Wolf berichtet Fritz Mertens authentisch über seine Kindheit und Jugend, erzählt er seine Lebensgeschichte, die fast zwangsläufig in eine Katastrophe münden mußte, der zwei Menschen zum Opfer fielen.
»Dieser radikale Lebensbericht eines Leidens an der Umwelt quillt über vor Informationen, die uns – die wir von der Tat schockiert gewesen sind – rückhaltlos erreichen. Das ist – weil ja zuletzt zwei junge Menschen getötet worden sind – ein Buch gegen alle schönen Bücher, aber eines aus dem Alltag, dem eben oft genug nur die Scheinheiligkeit bleibt. Es gibt, denken wir an Capotes Kaltblütig, hervorragend gemachte Bücher über Totschläger. Auch diese literarische Schönheit fehlt dem Buch, dafür hat es die ungeheuer faszinierende Mitteilsamkeit – vom ersten Wort, der ersten Zeile die Erkenntnis, warum es hat soweit kommen müssen. Das soll nicht heißen, daß wir kein Mitleid mehr mit den beiden Opfern haben müssen. Das soll aber heißen, was anhand des Erscheinens bereits gesagt worden ist: Es kann Zufälligkeit sein und nicht unser Verdienst, wenn wir nicht straffällig werden. Beide Bücher verdienen es wegen allem, aber gerade wegen der Hoffnung eines Menschen, gelesen zu werden.« Die Neckarquelle, Stuttgart Fritz Mertens
Auch
du stirbst,
einsamer
Wolf
Ein Bericht
Für Petra,
Christine, Carmen
und Werner
Die Erstausgabe erschien 1985 im Diogenes Verlag Veröffentlicht als Diogenes Taschenbuch, 1989
Alle Rechte vorbehalten
Copyright© 1985 Diogenes Verlag AG Zürich 100/90/43/3
Non-profit scan by tigger/Yfffi, 2002
ISBN 3 257 21794 3
Diogenes
Es fällt einem schwer
den Verstand zu gebrauchen
wenn man nicht weiß für was.
Noch schwerer ist es wohl
den Verstand da einzusetzen
wo keiner vorhanden ist.
Ist es da noch ein Wunder
wenn man nicht verstanden wird?
Axel L.
1
An einem ganz normalen Sommertag im Juni 1963 wurde ich daheim auf einem Sofa in die Welt gesetzt. Meine Eltern gaben mir schlicht und einfach den Namen Fritz Mertens. Wir wohnten in Villingen, eine an und für sich unbedeutende Kleinstadt im Schwarzwald.
Meine Eltern waren unheimlich okay. Sie tranken viel Alkohol, stritten sich oft und schlugen sich sogar gegenseitig die Schnauze ein. Es war also immer genug Action im Haus.
Auf einmal wandelte mein Vater auf dem Weg der Besserung und unterzog sich freiwillig einer Alkoholentziehungskur.
Während mein Vater auf dem Trockendock war, brachte mich meine Mutter in ein Säuglingsheim. Wahrscheinlich, weil sie unheimlich kinderliebend war. Mein Vater brach kurzerhand seine Kur ab, holte mich aus dem Heim, brachte mich zu meinen Großeltern, die Zeugen Jehovas waren, und suchte sich einen Job, den er anscheinend nicht fand. Denn meine Eltern zogen darauf nach Würzburg, machten dort eine Kneipe auf und wirtschafteten diese in kürzester Zeit runter, so daß sie bald wieder geschlossen war. Nun mußten sie arbeiten, und mein Vater fand einen Job als Kellner in Stuttgart. Meine Mutter arbeitete im gleichen Gewerbe, nur blieb sie in Würzburg.
Da Vater ab und zu Mutter besuchte, bekam ich auch noch Geschwister. Es waren zwei Jungen, Ralf und Uwe. Beide wurden in ein Heim gesteckt. Ich befand mich inzwischen bei Pflegeeltern. Auf einmal dachte man wieder an mich, holte mich von den Pflegeeltern weg und steckte mich zu meinen Geschwistern in Würzburg ins Heim. Mutter zog eines Tages zu Vater nach Stuttgart, eröffnete dort nochmals eine Kneipe und versuchte ihr Glück. Sie hatte Pech, denn ziemlich schnell war der Schuppen wieder geschlossen.
Nun zogen sie nach Villingen zurück, richteten sich dort eine Dreizimmerwohnung ein und holten uns drei Geschwister zu sich. Unsere Eltern stritten und schlugen sich. Wir wurden ab und zu mit einbezogen und bekamen manchmal eine saftige Abreibung. Mit fünf Jahren hatte ich schon Schimpfwörter gekannt, von denen andere nicht einmal mit achtzehn etwas gewußt haben.
Dann kam ich in die Schule, aus der mich meine Mutter nach kurzer Zeit wieder herausnahm, weil ich anscheinend zu doof war. Beim zweiten Anlauf klappte es dann.
Mit acht Jahren hatte ich ernsthafte
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