Sei lieb und büße - Thriller
DIENSTAG, 5. JUNI 2012
1
»Verdammt!«
Sina knallt den letzten Basketball in die Ecke. Warum muss Céline sie ausgerechnet heute dazu verdonnern, die Halle aufzuräumen? Das war bestimmt Absicht! Als hätte Céline geahnt, dass sie Frederik abpassen will. Sie nimmt die letzten drei Stufen auf einmal und rennt durch den dunklen Kellerflur zur Umkleide.
Es ist still, kein Kichern, keine Stimmen, kein Klappern, nur das laute Klatschen ihrer Sohlen auf dem Linoleum. Sind die anderen schon fort? Sina bleibt stehen. Tatsächlich, die Umkleide ist dunkel und leer. Sie hält den Atem an, späht hinein und tastet nach dem Lichtschalter. Nicht mal das Licht haben sie angelassen! Sinas Wut flammt erneut auf. Sie wird gleich gehen. Ohne sich umzuziehen. Rein, Sachen holen, raus. Ben ist es egal, ob sie ihn in verschwitzten Kleidern abholt, und Frederik ist jetzt ohnehin schon weg. Und wenn nicht? Wenn er den Kuss von Samstag erklären will?
Endlich erhellt das Neonlicht die Umkleide. Sina läuft zu ihrem Platz, schaut unschlüssig auf ihre Kleider, dann zieht sie ihre Sporthose aus. Sie zerrt eine Socke über den Fuß, während ihre Gedanken um das Training kreisen. Ist Frederik ihr gegenüber heute besonders aufmerksam gewesen? Hat er etwas getan, um ihr ein Zeichen zu geben? Eines, das außer ihr niemand verstehen würde? Sie greift nach der anderen Socke. Samstag. Wie weich seine Lippen gewesen sind. Wie er den Arm um ihre Hüfte gelegt und den Kopf zu ihr heruntergebeugt hat. »Du bist unglaublich.« Fast hört Sina ihn flüstern und das warme Gefühl in ihrem Bauch lässt sie wohlig erschauern. »Ein Naturtalent. Du solltest Teamkapitän werden.«
»Hör auf zu träumen, Blödi. Beeil dich lieber, sonst ist er definitiv weg!« Sie schlüpft in ihre bunten Vans und stopft hastig die Sportsachen in ihre Schultasche. Will sie überhaupt Teamkapitän werden? Und Céline? Willst du dir den Kampf wirklich antun?
»Gut, du bist noch da.« Céline stürmt in die Umkleide, als hätte sie Sinas Gedanken gehört. »Du hast die Trikots nicht mitgenommen. Du bist dran.«
Sina kräuselt die Nase. Das hat sie über dem Aufräumen der Bälle total vergessen. »Ich hole sie morgen.«
»Nein.« Die Hände in die Hüften gestemmt, schüttelt Céline den Kopf. »Du lässt sie nicht die ganze Woche hier.«
»Morgen. Versprochen. Ich bin spät dran.«
»Nein, jetzt. Glaub nicht, dass du einen Sonderstatus hast, nur weil du aus Berlin kommst.«
»Kannst …«, beginnt Sina und verstummt, als sie Célines verkniffenen Gesichtsausdruck sieht. Frederiks Vorschlag, Teamkapitän zu werden, erscheint ihr plötzlich äußerst verlockend.
Seufzend schnappt sie sich ihre Jacke und die Schultasche und läuft durch den düsteren Gang zur Turnhalle zurück. Im Geräteraum hievt sie die riesige Tragetasche mit den verschwitzten Trikots vom Boden hoch und wirft sie sich über die Schulter. Zu schwer und zu groß, um mit dem Rad zu fahren. Sina verspürt den dringenden Wunsch, Céline sofort abzulösen. Dazu müsste sie allerdings Frederik zu fassen bekommen, und genau das hat Céline gerade zielsicher verhindert. Und wenn er auf dich gewartet hat? Sie stößt die Hallentür auf. Mit einem Ziehen im Magen schaut sie sich im Pausenhof um. Die Schule liegt verlassen vor ihr, die großen, quadratischen Kippfenster wie dunkle Augen im hellen Grau des Betons.
Er hat nicht auf sie gewartet. Natürlich nicht.
Einzig ihr Fahrrad steht in dem überdachten Ständer wie ein treuer Gaul. Ein alter, abgehalfterter, aber wenigstens treuer Gaul.
Wie soll sie jetzt herausfinden, ob Frederik sie am Samstagabend nicht einfach nur aus der Siegerlaune heraus geküsst hat?
Das Ziehen in ihrem Magen verstärkt sich.
Siegerlaune.
Warum sonst hat er sich seitdem nicht bei ihr gemeldet?
Sie tritt nach einem Kiesel. Klackernd springt er über den Asphalt und bleibt vor dem Eingang der Sporthalle liegen. Chance vertan. Jetzt würde sie Rik erst wieder am Samstag sehen.
Samstag. Noch drei Tage und vier Nächte bis zum entscheidenden Spiel der Saison. Eine Ewigkeit. Und keine Garantie, ihn dort unter vier Augen sprechen zu können.
Plötzlich hört sie Célines Lachen. Es klingt künstlich. Als lache sie besonders laut über etwas, das sie gar nicht komisch findet. Für wen sie sich wohl so ins Zeug legt? Sina beschleunigt ihren Schritt. Dann bleibt sie wie versteinert stehen.
Céline lehnt an der Betonmauer hinter dem Schulgebäude. Neben ihr steht Frederik. Er
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