Seidig wie der Tod
Französischen Viertel begonnen hatte.
Ein greller Schmerz zuckte hinter seinen Lidern auf, als er über die Dächer zu dem hellen Lichtschimmer hinüberschaute, der vom Friedhof aufstieg. Im vergangenen Jahr, während der Verfilmung von
Jazzman’s Blues
, waren einige der Szenen hier im Viertel gedreht worden.
Roman erinnerte sich, dass der Friedhof während der Aufnahmen auf die gleiche Weise beleuchtet worden war wie jetzt. Bei jener Gelegenheit allerdings war das Mordopfer aufgestanden, als die Szene abgedreht war, hatte sich das falsche Blut vom Gesicht gewischt und eine Zigarette angezündet, um sodann mit dem Rest des Teams zu den Jazzklubs auf der Bourbon Street aufzubrechen.
Unglücklicherweise würde es für das Opfer des heutigen Abends nicht so einfach sein, sich von dem Schrecken zu erholen. Roman verzog das Gesicht, stürzte den Rest des Drinks hinunter und ging hinein, um das Glas wieder aufzufüllen. Dabei erblickte er für einen Moment sein Spiegelbild im Fenster. Sein Gesicht, das schon immer kantig gewesen war, sah nun verzerrt und hager aus; sein Kinn war dunkel von den Stoppeln eines mehrtägigen Barts.
Er sah, gelinde gesagt, wie der Teufel aus.
Und der war er ja vielleicht auch.
Sein Blick glitt zum Computerbildschirm, zu der Szene, die er früher am Abend verfasst hatte, und in der es um einen Teenager ging, der gefesselt und geknebelt auf einem New Orleanser Friedhof lag. Die entsetzten Augen des Mädchens waren weit aufgerissen, ihre Züge gespenstisch weiß, während der schwarzgekleidete Mann unaussprechliche Dinge mit ihrem nackten jungen Körper anstellte.
Mit einem derben Fluch trank Roman das Glas aus und stellte den Computer ab. Dann trug er Flasche und Glas hinaus und verbrachte die einsamen Stunden vor dem Morgen damit, in düstere, unheilvolle Gedanken versunken zum Friedhof hinüberzustarren und sich in stiller Verzweiflung zu betrinken.
Es herrschte reger Betrieb im Coffee Pot. Desiree drängte sich durch die Menge zu einem Tisch am Fenster.
„Du siehst müde aus“, begrüßte sie O’Malley.
„Ich fühle mich sogar noch schlechter, als ich aussehe“, entgegnete er seufzend, stand auf und zog einen Stuhl für sie heran. Solch galantes männliches Verhalten war normal im Süden, und obwohl Desiree sich für eine emanzipierte Frau hielt, konnte sie nicht abstreiten, dass ihr diese Art von Höflichkeit in ihren Collegezeiten an der Ostküste sehr gefehlt hatte.
O’Malley hatte bereits Kaffee bestellt. „Du Armer“, sagte sie, lächelte mitleidig und berührte seine Wange. „Hattest du Schwierigkeiten mit dem Bürgermeister?“
O’Malleys Augen wurden schmal. „Woher weißt du das?“
„Du weißt so gut wie ich, dass die Büros der Politiker wie rostige Wasserhähne lecken.“
Er trank einen Schluck Kaffee und starrte in die Tasse. Desiree, die daran gewöhnt war, dass er seine Worte sehr bedächtig wählte, nippte an ihrem Kaffee und wartete geduldig.
„Was ich dir anvertraue, muss noch geheim bleiben“, warnte er.
Damit hatte sie gerechnet. „Einverstanden.“
„Ich meine es ernst, Desiree.“ Seine Miene war sogar noch grimmiger als in der Nacht zuvor. „Es könnte mich meinen Posten kosten, falls herauskommt, dass ich mit dir darüber gesprochen habe!“
„Ich sage nichts. Ich schwöre es“, versprach sie und legte die Hand aufs Herz, um die Stimmung etwas aufzulockern.
Doch ihre Bemühung blieb erfolglos. O’Malley verzog keine Miene. „Das letzte Opfer ist eine sechzehnjährige Ausreißerin aus Baton Rouge namens Mary Bretton.“
Desiree schloss einen Moment die Augen, um ein stummes Gebet zu sprechen für das junge Mädchen, das nur getan hatte, was sie selbst auch gern getan hätte, als sie in Marys Alter gewesen war. „Wie traurig“, sagte sie schließlich leise.
„Darin widerspreche ich dir nicht.“ O’Malley trank einen Schluck Kaffee. „Es ist derselbe Kerl.“
„Der die anderen drei Mädchen vergewaltigt hat?“
Die Ankunft der Kellnerin ließ ihn mit der Antwort zögern. Obwohl Desiree sonst nie viel zum Frühstück aß, schlug sie heute Morgen, weil sie nach der langen Nacht hungrig war und begierig, das Gespräch so lange wie möglich auszudehnen, sämtliche Diätvorschriften in den Wind. „Ein großes Glas Orangensaft, zwei Eier auf Kreolenart und Toast bitte. Mit Honig.“
Obwohl O’Malley die Augenbrauen hochzog über ihre ungewöhnlich große Bestellung, bemerkte er nichts dazu. „Ich hätte gern Tomatensaft
Weitere Kostenlose Bücher