Seidig wie der Tod
warnenden Blick zu. „Es ist noch immer inoffiziell, was ich dir sage.“
„Ja, ja.“ Sie winkte ab.
„Du weißt bereits, dass ich heute Morgen eine Konferenz mit dem Bürgermeister hatte. Sein Stellvertreter und der Polizeichef waren ebenfalls anwesend. Alle drei erinnerten mich daran, dass die Stadt am Beginn der Hochsaison für die Touristen steht.“
Desiree Dupree war längst nicht mehr die naive junge Idealistin, die in Harvard ihre Examen in Journalismus und Kriminalwissenschaften mit Auszeichnung bestanden hatte. Ihre Jahre beim Fernsehen hatten sie gelehrt, keine Moral in der Regierung zu erwarten. Aber was sie gerade gehört hatte, konnte sie nicht schlucken. „Das Leben Unschuldiger in Gefahr zu bringen, nur um das Weihnachtsgeschäft nicht aufs Spiel zu setzen, ist ein Verbrechen!“
„Nicht im Sinne des Strafgesetzbuchs.“
„Es ist abscheulich!“
„Worin wir uns wieder einmal einig sind.“
Einen flüchtigen Moment lang ließ er seine professionelle Maske fallen, und ihr gelang ein Blick auf den anständigen Mann, als der er ihr bekannt war. „Was wirst du tun?“
„Der Polizeichef meinte, da wir ohnehin zu Weihnachten unsere Aufgebote verstärken werden, bestünde kein Grund, die Leute unnötig zu verängstigen.“
„Wirst du wenigstens die Prostituierten warnen?“
„Man hat mich aufgefordert, Stillschweigen zu bewahren.“
„Das war nicht meine Frage.“
Seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. „Ohne es öffentlich anzukündigen, werde ich tun, was ich kann, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Was die Festnahme von Mary Brettons Vergewaltiger einschließt.“
Es war mehr das, was er nicht sagte, was Desirees Frage beantwortete. Wieder einmal erwies Michael sich als absolut furchtlos. Sie wusste, dass das politische Risiko, das er einging, indem er den Befehl umging, Stillschweigen zu bewahren, fast so gefährlich war wie jede Kugel, die ihn treffen konnte. Aber sie wusste auch, dass er die Aufklärung eines Verbrechens stets als seine ganz persönliche Angelegenheit betrachtete und sich von niemandem hereinreden ließ.
Desiree warf einige Geldscheine auf den Tisch und stand auf. „Du hast meinen Glauben an die Menschheit wiederhergestellt, O’Malley.“
Diesmal verriet sein Lächeln Wärme. „Unser Motto ist, zu schützen und zu dienen und schönen Fernsehreporterinnen Vertrauen einzuflößen.“
Sie küsste seine Wange. „Wenn das Thema ein anderes gewesen wäre, hätte ich mich gut unterhalten. Wir müssen uns bald wiedersehen. Nur so zum Spaß. Um der alten Zeiten willen.“
Ein Schatten huschte über seine markanten Züge. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre, Des.“
Er hatte natürlich recht. Zuviel hatte sie einst verbunden, um heute eine platonische Freundschaft zu beginnen. Zumindest, solange beide ungebunden waren. Und mehr als Freunde konnten sie auch nie wieder sein.
„Ich hasse es, dir recht geben zu müssen“, erwiderte Desiree ernst. „Aber jetzt muss ich los. Ich habe ein Interview heute Morgen.“
„Jemand, den ich kenne?“
„Ja, aus dem Gerichtssaal. Roman Falconer.“
O’Malley schaute sie mit neu erwachtem Interesse an. „Ich wusste gar nicht, dass du dich dazu herablässt, Berühmtheiten zu porträtieren!“
Sie fragte sich, was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie den früheren Staatsanwalt und heutigen Autor von Kriminalromanen fragen wollte, was er mitten in der Nacht am Schauplatz eines Verbrechens zu suchen gehabt hatte.
„Man kann nie wissen, wann eine Geschichte eine interessante Wendung nimmt“, entgegnete sie achselzuckend.
O’Malley lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Bahnt sich etwa zwischen dir und dem berühmtesten Bürger unserer Stadt etwas an?“
„Eigentlich kenne ich den Mann gar nicht. Er hatte sein öffentliches Amt bereits aufgegeben, als ich nach New Orleans zurückkehrte. Und in letzter Zeit scheint er ein sehr zurückgezogenes Leben zu führen.“ Sie schenkte O’Malley ein unschuldiges Lächeln. „Vielleicht kannst du mir etwas über Falcone sagen, das es mir erleichtern wird, ihn meinen Zuschauern darzustellen.“
„Dazu bedürfte es mehr als einiger weniger Anekdoten, Des. Die Wahrheit ist, dass dieser Mann so vielschichtig ist wie eine Zwiebel. Ich glaube, niemand aus seiner früheren Umgebung kann behaupten, ihn je richtig gekannt zu haben. Sein Spitzname in Justizkreisen war ‚Fürst der Finsternis‘.“
Desiree erinnerte sich an den seltsam
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