Sein anderes Gesicht
Der Anführer kommt einen Schritt auf mich zu und lässt seinen Bizeps spielen. Er hat O-Beine wie ein Kind, das zu früh mit dem Laufen angefangen hat.
Er zieht ein zerdrücktes Päckchen Zigaretten aus der Gesäßtasche seiner Jeans, klopft eine heraus und schiebt sie mir unter dem Gefeixe der anderen zwischen die Lippen.
»Brauchst du auch Feuer?«
Dreckiges Gelächter.
»Ja, bitte …«, sage ich und befeuchte meine Lippen.
Das Gelächter erstirbt. Er fragt sich, ob das heute sein Glückstag ist. Unter den gespannten Blicken der ganzen Truppe zieht er sein Feuerzeug hervor und dreht mit dem Daumen das Rädchen. Verheißungsvoll schießt die Flamme empor. Er presst seinen Unterleib gegen meinen.
Ein leichter Stoß. Unsere Blicke begegnen sich. Ich sehe, wie sich seine Augen weiten, während er zurückspringt und schreit:
»Scheiße! Das gibt's doch nicht!«
Die anderen sehen ihn verständnislos an.
»Aber das ist ein Kerl!«
Rufe werden laut. Eine Bierdose scheppert auf den Boden. Wütend, weil er auf mich hereingefallen ist, packt er mich beim Revers meiner Jacke, lässt aber sofort angewidert wieder los.
»Was glaubste denn?«, schreit er und benetzt mich mit Speicheltröpfchen. »Hältst uns wohl für Schwuchteln, was? Ist es das?«
Ich sehe die Schweißperlen auf seiner Oberlippe, die Nasenlöcher, die sich weiten. Eine gewisse Erregung in seinen glasigen Augen. Ich sehe ihn an und antworte:
»Danke für die Zigarette .«
Ich weiß, was jetzt geschehen wird. Sie wissen, was jetzt geschehen wird. Er amüsiert sich wahrscheinlich köstlich in seinem Auto. Weil ich jetzt bestraft werde. Dafür bestraft, dass ich ihn liebe.
Ein eiserner Griff umschließt meinen Arm: Einer der Jungen zwingt mich niederzuknien. Ein anderer reißt meinen Kopf an den Haaren nach hinten. Ich protestiere nicht. Ich wehre mich nicht. Ein Dritter öffnet den Reißverschluss meiner Jeans und zieht sie herunter. Der Anblick meines roten Stringtangas löst hämisches Gekicher aus, Getuschel und Beleidigungen. Ungeschickte, brutale Hände reißen ihn mir vom Körper.
Geruch nach Schweiß, schlecht kontrollierter Erregung und Turnschuhen. Ich zähle sechs Paar mit Luftkissensohlen. Sie drängen sich um mich herum wie die Schweine um einen wohlgefüllten Trog. Ich knie halb nackt auf dem Parkplatz, aus dem Radio dröhnt ein Gangsta-Rap.
Der Anführer packt mich bei den Haaren.
»Sag, dass du ein Dreckstück bist! Sag, dass du kein Mann bist«, brüllt er.
Es ist immer dasselbe. Die Leute schreien entsetzt auf, wenn sie merken, dass ich ein Mann bin, und werfen mir sogleich vor, keiner zu sein.
»Ja, ich bin ein Miststück. Nein, ich bin kein Mann«, wiederhole ich gefügig, den Blick starr auf die Ölflecken auf seiner Jeans gerichtet.
Durch meine Passivität aufgebracht, ohrfeigt er mich heftig und schreit:
»Du willst uns provozieren, was? Du willst uns provozieren!«
Aus den Augenwinkeln vergewissere ich mich, dass sie nur Bierdosen dabei haben und keine Glasflaschen, ehe ich mit anmutigem Lächeln sage:
»Ich ficke deinen Vater, mein Kleiner!«
Tiefes Schweigen.
Das verbessert natürlich nicht gerade die Stimmung. Aber ich tue es für Johnny, der mich beobachtet.
In eben diesem Augenblick schlägt eine Autotür zu, und der Motor springt an. Johnny. Nein! Ich habe gehorcht. Nein! Der Toyota verschwindet.
Sogleich bricht der Sturm los. Schneewittchen und die sechs Zwerge. Sie schlagen ungeschickt zu. Ich falle, werde wieder aufgehoben, man schleudert mich nach rechts, nach links, eine stumme Puppe. Fußtritte in den Rücken, in den Bauch, ich erbreche mich. Gott sei Dank sind es Amateure. Sie schlagen zu wie Kinder, und genau das sind sie auch. Ein letzter Fußtritt auf den Kopf, ich verliere das Bewusstsein.
Ich liege auf dem Zement in einer kalten Pfütze. Es stinkt nach Pisse, Öl und Bier. Langsam richte ich mich auf. Offenbar ist nichts gebrochen. Die Sonne geht auf, eine orangefarbene Scheibe hinter der Burgerking-Reklame. Ich rappele mich auf, schwanke, finde mein Gleichgewicht. Alles tut mir weh. Meine Jeans liegt zusammengeknüllt in einer Ecke, voller Kotze und anderem Zeug. Ich schüttele sie aus und ziehe sie an. Sie ist nass und kalt.
Als ich mit der Hand durch mein Haar fahre, wird sie klebrig. Meine rote Perlenkette ist zerrissen, die Perlen sind auf dem Boden verstreut. Ich habe nur noch einen Ohrclip, der andere hat sein Ende unter einem aufgeregten Nike-Turnschuh gefunden.
Ich setzte mich in
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