Sein Anteil
sein Privatleben in den Vordergrund. Die »Times« widmete in ihrer jüngsten Ausgabe eine ganze Seite »Hewitts Frauen«. Seine Ehefrau wurde als »wunderschön« beschrieben. Sie stammte aus einer steinreichen französischen Adelsfamilie, und ihre Mitgift, so wurde behauptet, hätte den Grundstein zu Hewitts Vermögen gelegt.
Leider war Lady Anne-Marie, wie sie im Text genannt wurde, auf dem abgedruckten Foto kaum zu erkennen. Das Bild stammte offenbar aus einem Privatalbum und zeigte das Ehepaar beim Wintersport in den Schweizer Bergen.
Beide trugen dicke Pelzmäntel und Pelzmützen und zudem große schwarze Sonnenbrillen. Trotz der schönen und vermögenden Frau an seiner Seite unterhielt Hewitt zahlreiche Affären. Ein nicht namentlich genannter »Freund« schilderte ihn als wahren Frauenhelden. Als Beleg wurden in einer ganzseitigen Spalte einige seiner mutmaßlichen Eroberungen – alle hübsche Blondinen – abgebildet. Auch eine nahe Verwandte der Queen war dabei.
Hewitt selbst sah auf allen Bildern blendend aus, ob im Smoking oder als Rugby-Spieler. Groß, männlich, mit dickem, welligem Haar entsprach er ganz dem Idealtyp der britischen Oberklasse – eine Art Kennedy, allerdings weniger charismatisch, dafür robuster.
Willem war von ihm fasziniert. Für ihn bestand Hewitts Schuld nicht in seinen kriminellen Machenschaften. Sie nötigten ihm Respekt ab. Immerhin hatte Hewitt damit selbst sein Schicksal in die Hand genommen und nicht wie ein x-beliebiger Geschäftsmann, der auf ganz legale Weise ein Vermögen macht, lediglich seinem Instinkt oder einfach dem Zufall vertraut. Dass Hewitt seinen Erfolg nicht still genießen konnte, sondern mit seiner Prahlerei den Neid der anderen Kunsthändler erweckt hatte, machte ihn in Willems Augen schuldig. Er fand es deshalb nur gerecht, dass Hewitt, der auf allen Fotos gerade irgendeinen Sieg zu feiern schien, offensichtlich für seinen krankhaften Ehrgeiz und für sein übersteigertes Geltungsbedürfnis die Rechnung präsentiert wurde.
Willem verließ das »Raison d’être« und warf die Zeitungen in den nächsten Papierkorb. Die Stunden zwischen drei und fünf Uhr nachmittags waren für ihn die schönste Zeit des Tages. Ganz gleich, was er tat, er musste es nicht tun. Er konnte völlig frei über sich selbst und die Zeit verfügen. Während der Morgen meist einer Routine folgte – Zeitungslektüre, alltägliche Besorgungen –, gab sich der Nachmittag völlig seinem Willen hin. Ein besonderes Vergnügen waren nachmittägliche Kinobesuche.
Er liebte es, am helllichten Tag in das Dunkel der Säle abzutauchen und mit seinen Sinnen und Gedanken in eine andere Welt zu entschwinden. Vor allem der Augenblick, wenn Willem das Kino verließ, war ihm ein Hochgenuss. Die Neige des Tages kündigte sich an. Die meisten Passanten versuchten die verbleibende Zeit für eine dringende Erledigung zu nutzen, während er sich, noch ganz erfüllt von den gerade gesehenen Geschichten und Figuren, erst allmählich an die reale Welt wieder gewöhnen musste. Dann war er mit sich ganz zufrieden. Die anderen, die sich dieses Vergnügen nicht leisten konnten oder wollten, bedauerte er nicht. Für sie hatte er nur Verachtung übrig.
Die meisten Nachmittage verbrachte Willem aber damit, durch Londons Straßen spazieren zu gehen, stundenlang. Die Bewegung war ein Sehen, Denken, Ablenken, Vergessen, aber auch ein Ersatz für das Leben, und vor allem ein Suchen, immer in der Hoffnung, dass etwas geschieht, das seinem Leben eine andere Richtung geben könnte, etwas, mit dem sein Leben erst eigentlich beginnen würde, das richtige Leben, in dem auch er lebte und handelte wie die Figur eines Romans oder Films.
Diesen Nachmittag wollte er auf der King’s Road verbringen. Er liebte die Straße ihrer gespielten Geschäftigkeit wegen, die sich nur um sich selbst und den Konsum von schönen Dingen drehte. Er warf einen flüchtigen Blick in die Auto-Vertretung gegenüber der U-Bahn-Station South Kensington, in der nagelneue Bentleys und Rolls-Royces mit ihrer Wucht und ihrem Chrom protzten, und schwamm dann im allgemeinen Verkehr auf das Michelin-Haus in der Fulham Road zu. Hier war es nicht ganz so eng und laut. Die meisten Geschäfte boten überteuerte Antiquitäten an. Willem schauderte geradezu vor der biederen Behaglichkeit der mit Messing besetzten Mahagoni-Möbel.
Dann glaubte er, in einem Schaufenster doch irgendetwas entdeckt zu haben. Er kehrte um, sah nichts, sah wieder hin. Doch es
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