Sein Anteil
Schönheit eingebüßt. Keine Jean Seberg oder Jeanne Moreau kreuzten seinen Weg, und der Kaffee war nur teuer und schmeckte fad. Er wollte gar nicht bestreiten, dass andere in Paris glücklich sein könnten. Er war es einfach nicht.
Paris war für ihn verlorene Zeit, was er ohne Bedauern registrierte. Ein paar Jahre bewegte sich Willem in der Stadt wie ein gelangweilter Besucher, wobei er sich, wie oft in seinem Leben, mit oberflächlichen Bekanntschaften und bedeutungslosen Liebschaften zerstreute. Nur in eine Frau verliebte er sich ernsthaft. Sie verließ ihn. Er schwieg und trug den Verlust.
Da er immer mehr seine Arbeit vernachlässigte, bestellte ihn eines Tages sein Chefredakteur ein, bot ihm »aus alter Verbundenheit«, wie er sagte, eine Abfindung an, falls er seinen Posten unverzüglich und ohne viel Aufhebens räumte. Willem akzeptierte ohne Widerspruch und verabschiedete sich mit kurzem Gruß.
Kaum war er auf der Straße, brach er in ein euphorisches, geradezu hysterisches Lachen aus. Es war nicht Verzweiflung, es war das Gefühl einer absoluten Freiheit, das sich seiner bemächtigte und dem er sich hemmungslos hingab. In Paris bleiben und es bei einer anderen Zeitung versuchen? Nein. Zurück nach Brüssel oder einen anderen Ort in Belgien? Schon gar nicht. Hätte ihn jemand auf die Schulter geklopft und gesagt, komm mit nach Afrika, er wäre mitgegangen. Aber da waren niemand und nichts, was das Gefühl der Freiheit nur noch verstärkte.
Er hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht, was er anderes tun könnte, wo anders er leben könnte. Er nahm die Dinge, wie sie kamen, ob Menschen, ob Orte. Sein Phlegma machte ihn zu einem Abenteurer.
Da kam ihm plötzlich London in den Sinn. Er versuchte nicht sich zu erklären, woher dieser Einfall kam. Er war zwei- oder dreimal für ein paar Tage da gewesen. London hatte ihm gefallen. Er hatte sich durch die Straßen, Museen, Parks und Pubs der Stadt treiben lassen, ohne eigene Anstrengung. Kein Erlebnis, nur Bilder hatte er in seiner Erinnerung behalten. Aber sie erfüllten ihn mit einer angenehmen Sehnsucht, was für seine Entscheidung wohl ausreichte. Es dauerte keine zwei Wochen, und Willem fand sich in einem möblierten Appartement in Earls Court wieder.
Sein ganzes bisheriges Leben ließ er hinter sich, es war ohne jede Bedeutung.
Vor ihm auf dem Tisch türmten sich die Blätter, die er, sobald er sie gelesen hatte, auf dem Stuhl neben sich stapelte. Ein paar englische, ein oder zwei französische und ein oder zwei deutsche gehörten gelegentlich zu seinem Pensum. Willem war immer über alles gut informiert. Er hätte zu jedem aktuellen Thema, sei es aus Politik, Wirtschaft oder Kultur, etwas sagen können, wenn ihn jemand gefragt hätte. Aber es fragte ihn keiner.
Doch am meisten interessierten ihn Skandale und Verbrechen, und am liebsten waren ihm Geschichten aus einer Verbindung von beidem. Er verfolgte sie mit Neugier und Schadenfreude. Der Fall »Hewitt«, der seit Wochen die britische Öffentlichkeit beschäftigte, hatte ihn sofort gefesselt. War Bewunderung der Grund, oder war es Neid, dass ausgerechnet dieser Fall Willem in seinen Bann zog? Seine Besessenheit verhinderte, sich darüber Rechenschaft abzulegen.
Henry Hewitt war Kunsthändler und hatte sich mit der internationalen Kunst-Mafia eingelassen und massenweise asiatische Skulpturen ohne Aus- und Einfuhrgenehmigungen verkauft, die teils gefälscht waren, teils in Thailand und Burma aus Tempeln gestohlen worden waren. Seine Kunden gehörten zur besten Gesellschaft. Selbst auf dem Schreibtisch des Premierministers stand die Miniatur einer Tempeltänzerin aus Hewitts Beständen, bei der es sich um eine »ziemlich plumpe Fälschung« handelte, wie eine Bildunterschrift genüsslich feststellte.
Willem las die täglichen Berichte wie einen Fortsetzungsroman, riss sie heraus und heftete sie zu Hause säuberlich ab. Das Schicksal hatte diesen Henry Hewitt zunächst geradezu verwöhnt – noble Familie, Public School in Winchester, Studium in Cambridge, anschließend schnelle Karriere als Banker, dann Wechsel in den Kunsthandel mit eigenem Geschäft in Londons Nobel-Viertel Belgravia. Die Zeitungen vergaßen ebenso wenig zu erwähnen, dass sein Haus im Südwesten Londons leicht seine zehn Millionen Pfund wert wäre.
Noch war Henry Hewitt nicht verurteilt, nicht einmal angeklagt und noch auf freiem Fuß. Hatten die Zeitungen zunächst seine dunklen Geschäfte durchleuchtet, rückte inzwischen
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