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Sein letzter Fall - Fallet G

Sein letzter Fall - Fallet G

Titel: Sein letzter Fall - Fallet G Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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Sie wusste, dass sie nachts ins Bett pinkeln würde, und sie wusste, dass Tante Peggy dann böse werden würde.
    Das war immer so. Immer, wenn sie bei Tante Peggy schlief und nicht bei ihrer eigenen Mama, passierte es.
    Mami. Sie wollte bei Mami sein. In ihrem eigenen Bett in ihrem eigenen Zimmer schlafen mit der Puppe Trudi unter der Decke und der Puppe Bamba unter dem Kopfkissen. So sollte es sein. Wenn es so war und wenn sie mit Mamis gutem Geruch in der Nase einschlief, dann passierte es nie, dass das Bett nass war, wenn sie aufwachte. Jedenfalls fast nie.
    Tante Peggy roch überhaupt nicht wie Mami. Sie wollte nicht, dass Tante Peggy sie anfasste, und das tat sie glücklicherweise auch nie. Aber sie schlief im selben Zimmer, auf der anderen Seite eines blauen und ein bisschen roten Vorhangs mit irgendwelchen Drachen drauf, vielleicht waren es auch Schlangen, und manchmal schlief da noch jemand. Sie mochte das nicht.
    Trudi und Bamba mochten es auch nicht. Bei Tante Peggy waren sie gezwungen, beide unter dem Kopfkissen zu schlafen, damit sie kein Pipi abbekamen. Das war unbequem und hart, aber sie konnte die Puppen natürlich nicht zu Hause lassen, wie Mami es vorgeschlagen hatte. Manchmal kam Mami wirklich auf die merkwürdigsten Ideen.
    Eine Woche, hatte sie beispielsweise gesagt. Du musst für eine Woche zu Peggy, ich werde wegfahren und viel Geld verdienen. Wenn ich zurückkomme, kriegst du ein neues Kleid und so viel Eis und Bonbons, wie du willst.
    Eine Woche, das waren viele Tage. Sie wusste nicht genau, wie viele, aber es waren mehr als drei, und die ganze Zeit würde sie gezwungen sein, in diesem ekligen Zimmer zu schlafen, vor dessen Fenster Autos und Busse auf der Straße entlang fuhren, hupten, bremsten und die ganze Nacht mit den Reifen quietschten. Sie würde ins Bett pinkeln, und Tante Peggy würde gar nicht auf die Idee kommen, das Bettzeug zu wechseln, sondern es nur tagsüber zum Trocknen über den Stuhl hängen, und Trudi und Bamba würden so traurig sein, oh, so traurig, dass sie sie nicht würde trösten können, wie sehr sie es auch versuchte.
    Ich will nicht bei dieser blöden Tante Peggy sein, dachte sie. Ich wünschte, Tante Peggy wäre tot. Wenn ich Gott bitte, sie wegzubringen, und er das tut, dann verspreche ich, nicht einen einzigen Tropfen mehr ins Bett zu pinkeln, und wenn es dann Morgen ist, dann kommt Mami statt Tante Peggy, nimmt mich mit nach Hause, und ich muss nie wieder hierher zurück. Nie wieder.
    Hörst du, lieber Gott, lass Mami zurückkommen, nimm das Pipi und Tante Peggy weg. Lass sie sterben oder setze sie in ein Flugzeug und flieg mit ihr zum Land der Tausend Inseln.
    Sie faltete die Hände so fest, dass ihr die Finger wehtaten, und Trudi und Bamba beteten zusammen mit ihr mit all ihrer Kraft, deshalb würde es vielleicht, ja vielleicht doch so geschehen, wie sie es sich wünschte.

1
    Auf dem Weg zu seiner Arbeit kaufte der Privatdetektiv Maarten Verlangen am Dienstag, dem 3. Juni, sechs Bier und sechs Staubsaugerbeutel ein.
    Ersteres war Routine, Zweiteres war außergewöhnlich. Seit Martha sich vor fünf Jahren hatte von ihm scheiden lassen, waren seine Putzambitionen nicht mehr so ausgeprägt gewesen wie jetzt, und mit dem etwas fremden Gefühl eines guten Gewissens schloss er die rostschutzfarbene Eisentür auf und nahm sein Büro in Beschlag.
    Das war schnell geschehen. Der Raum maß drei mal vier Meter, und kein Architekt der Welt wäre auf die Idee gekommen, »Büroraum« auf seine Zeichnung zu schreiben. Der Raum lag in einer der verrußten alten Mietskasernen an der Armastenstraat, gleich neben den Eisenbahngleisen. Vom Hauseingang ging es eine halbe Treppe nach unten; das Zimmer war offenbar anfangs als eine Art Lagerraum für den Hausmeister gedacht gewesen, ein Platz, wo das eine oder andere, was die Mieter nicht mehr brauchten, verwahrt werden konnte: Toilettenschüsseln, Duschschläuche, Kochplatten und sonstige Utensilien der abgenutzten Sorte.
    Aber jetzt war es also ein Büro. Wenn auch kein besonders schickes. Die Wände waren von Beginn an mit schmutzigem, erdfarbenem Putz bedeckt gewesen, der Boden war vor zwei oder drei Jahrzehnten dunkelblau gestrichen worden, und die einzige natürliche Lichtquelle war ein klein bemessenes Fenster auf Bodenhöhe, ganz oben unter der Decke. Die Möblierung war einfach und funktionell. Ein Schreibtisch mit einem Schreibtischstuhl. Ein grauer Aktenschrank aus Metall. Ein niedriges Bücherregal, ein brummender

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