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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die ihr Haus auf sehr anständigem
Fuße zu führen wisse.
    Inzwischen erhob sich ein großer Lärm. Sie hatten sich in ihre
schlüpfrigen Geschichtchen so vertieft, daß sie nichts mehr von dem
bemerkten, was um sie her vorging. Von fern vernahm man aus den
Gängen die Stimmen der Hausbeamten, die riefen: »Zur Sitzung, meine
Herren, zur Sitzung!« Die Abgeordneten strömten von allen Seiten
durch die weitgeöffneten, goldbesternten Türen von Mahagoni herein.
Der Saal, der bis dahin zur Hälfte leer war, füllte sich
allmählich. Die kleinen Gruppen, die sich mit gelangweiltem
Ausdruck über die Bänke hinweg unterhielten, die Schläfer, die ihr
Gähnen unterdrückten, verschwanden in der steigenden Flut unter den
zahlreich ausgetauschten Händedrücken. Indem die Abgeordneten sich
rechts und links niederließen, lächelten sie einander freundlich
zu; sie hatten alle einen gewissen gleichmäßigen Zug: das
Bewußtsein der Pflicht, die sie hier erfüllen wollten. Ein dicker
Herr auf der letzten Bank links, der gar zu fest eingeschlummert
war, wurde von seinem Nachbar aufgerüttelt, nachdem dieser ihm
einige Worte ins Ohr geflüstert, rieb er sich eilig die Augen und
nahm eine würdevolle Haltung an. Die Sitzung, die sich bisher durch
sehr langweilige Angelegenheiten hingeschleppt hatte, verhieß jetzt
sehr interessant zu werden.
    Von der Menge fortgerissen, waren Herr Kahn und
seine beiden Gefährten zu ihren Sitzen,
gelangt, ohne recht zu wissen wie, und setzten hier ihre
Unterhaltung fort, mühsam ihr Lachen unterdrückend. Herr La
Rouquette gab eine neue Geschichte von der schönen Clorinde zum
besten. Sie hatte eines Tages den erstaunlichen Einfall, ihr Zimmer
mit schwarzem Tuch ausschlagen zu lassen, auf dem silberne Tränen
verstreut waren, und empfing hier ihre Gäste, im Bett liegend,
unter schwarzen Decken, die nur ihre Nasenspitze sehen ließen.
    Herr Kahn setzte sich; dann besann er sich plötzlich seiner
Sache.
    »Dieser La Rouquette ist ein Narr mit seinen Klatschereien! Er
ist schuld, daß ich jetzt die Gelegenheit versäumte, Rougon zu
sprechen! – Sie hätten mich wohl daran erinnern können, Béjuin!«
wandte er sich mit wütender Miene an seinen Nachbar.
    Rougon, der eben mit den üblichen Förmlichkeiten eingeführt
worden, saß schon zwischen zwei Staatsräten auf der Bank der
Regierungsvertreter, einer Art ungeheuren Kasten von Mahagoni, der
unterhalb des Präsidentensitzes angebracht war gerade an der Stelle
der abgeschafften Tribüne. Seine breiten Schultern sprengten fast
die grüne Uniform, die am Kragen und an den Ärmeln mit
Goldstickerei überladen war. Sein Gesicht war dem Saale zugekehrt,
das dichte, schon ergrauende Haar umwogte die viereckige Stirn,
seine Augen verschwanden unter den immer halb gesenkten schweren
Lidern; seine vollen Lippen, die länglichen Backen, in die seine
sechsundvierzig Jahre noch keine Runzel gezogen, waren abstoßend
gewöhnlich, doch zuweilen von der Schönheit der Kraft verklärt. Er
saß ruhig da, zurückgelehnt und das Kinn auf den Kragen gestützt,
ohne anscheinend jemanden zu gewahren, und mit gleichgültiger,
etwas matter Miene.
    »Er sieht aus wie immer«, murmelte Herr
Béjuin.
    Die Abgeordneten beugten sich vor, um zu sehen, was für ein
Gesicht er mache, und leise Bemerkungen gingen von Mund zu Mund.
Besonders auf den Tribünen machte Rougons Ankunft lebhaften
Eindruck. Die Charbonnels, um zu zeigen, daß sie da seien,
streckten ihre entzückten Gesichter so weit vor, daß sie Gefahr
liefen hinabzufallen. Frau Correur bekam einen leichten
Hustenanfall, zog ihr Taschentuch und schüttelte es, unter dem
Verwände, es an ihre Lippen zu führen. Oberst Jobelin hatte sich
straff aufgerichtet, und die hübsche Frau Bouchard, die eilends auf
die vorderste Bank zurückgekehrt war, atmete erregt, indem sie den
Knoten ihres Hutbandes in Ordnung brachte, während Herr
d'Escorailles stumm und sehr verstimmt hinter ihr stand. Die schöne
Clorinde tat sich gar keinen Zwang an. Als sie sah, daß Rougon die
Blicke nicht erhob, stieß sie leicht, aber sehr vernehmlich, mit
ihrem Feldstecher an den Marmor der Säule, an der sie lehnte; und
da er sie noch immer nicht ansah, bemerkte sie zu ihrer Mutter mit
so heller Stimme, daß der ganze Saal es hörte:
    »Er schmollt, der dicke Duckmäuser!«
    Einige Abgeordnete wandten sich lächelnd um, und Rougon
entschloß sich, ihr einen Blick zu schenken. Während er ihr
unmerklich zunickte, klatschte sie triumphierend in

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