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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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eben
geschriebenen Briefe in den Postkasten zu stecken.
    Die drei Abgeordneten blieben am Fuße des Präsidentenpultes zur
Linken stehen und unterhielten sich vorsichtig über die Ungnade,
die Rougon drohte. Es war eine verwickelte Geschichte. Ein
entfernter Verwandter der Kaiserin, ein Herr Rodriguez, forderte
von der französischen Regierung den Betrag von zwei Millionen
Franken zurück, weil ihm 1808, während des spanischen Krieges, ein
mit Kaffee und Zucker beladenes Schiff im Meerbusen der Gascogne
von einer Fregatte, der »Vigilante« gekapert und nach Brest
geschleppt worden war. Auf Grund des Tatbestandes, den die
Untersuchungskommission erhoben hatte, erklärte der
Verwaltungsbeamte die Prise für rechtmäßig, ohne das Prisengericht
darüber zu befragen. Indessen hatte sich Herr Rodriguez schleunigst
an den Staatsrat gewandt, und nach seinem Tode hatte sein Sohn
vergeblich unter allen Regierungen die Aufnahme der Sache verlangt,
bis endlich ein Wort seiner Urgroßnichte, die inzwischen allmächtig
geworden war, bewirkte, daß der Prozeß zur Verhandlung kam.
    Über ihren Köpfen vernahmen die drei Abgeordneten die eintönige
Stimme des Präsidenten, der fortfuhr:
    »Gesetzentwurf, betreffend die Ermächtigung des Departement
Calvadors zu einer Anleihe von 30 000 Franken …
Gesetzentwurf, betreffend die Ermächtigung der Stadt Amiens zu
einer Anleihe von 200 000 Franken für die Anlage neuer
Spazierwege … Gesetzentwurf, betreffend die Ermächtigung des
Departement Côtes-du-Nord zu einer Anleihe von 345 000
Franken, womit die Fehlbeträge der letzten fünf Jahre gedeckt
werden sollen… « »Wirklich,« sagte Herr
Kahn noch leiser, »hat der bewußte Rodriguez einen sehr
scharfsinnigen Einfall gehabt. Er besaß in Gemeinschaft mit einem
New-Yorker Schwiegersohne Zwillingsschiffe, die nach Belieben unter
amerikanischer oder spanischer Flagge segelten, je nachdem diese
der jene Flagge Gefahr brachte… Rougon hat mir versichert, daß das
Schiff in aller Form gekapert war und daß daher nicht der geringste
Grund sei, die Verwahrungen des Herrn zu beachten.«
    »Um so weniger, als das Verfahren unanfechtbar ist«, fügte Herr
Béjuin hinzu. »Der Verwaltungsbeamte in Brest war nach dem
Hafenrechte völlig befugt, die Prise für rechtmäßig zu erklären,
ohne das Prisengericht zu befragen.«
    Herr La Rouquette lehnte sich gegen den Marmor des
Präsidentensitzes, erhob die Nase, um die Aufmerksamkeit der
schönen Clorinde auf sich zu lenken, und fragte nach kurzem
Schweigen naiv:
    »Aber warum will Rougon nicht zugeben, daß man dem Rodriguez die
zwei Millionen gibt? Sein Schaden ist es doch nicht!«
    »Das ist eine Gewissensfrage!« versetzte Herr Kahn ernst.
    Herr La Rouquette blickte seine Genossen nacheinander an; da er
aber ihre feierliche Miene sah, lächelte er nicht einmal.
    »Dann,« fuhr Herr Kahn fort, wie um auf stillschweigend
gestellte Fragen zu antworten, »dann ist Rougon unzufrieden, seit
Marsy Minister des Innern ist. Die beiden haben einander nie
ausstehen können… Rougon hat mir gesagt, daß er sich ohne seine
Anhänglichkeit an den Kaiser, dem er schon so viele Dienste
geleistet, längst vom öffentlichen Leben zurückgezogen hätte… Kurz:
er befindet sich nicht mehr wohl in den Tuilerien, er fühlt die
Notwendigkeit, eine neue Haut anzuziehen.« »Er handelt als ehrlicher Mann!« wiederholte Herr
Bejuin.
    »Ja,« sagte Herr La Rouquette mit schlauem Gesicht, »wenn er
sich zurückziehen will, ist die Gelegenheit günstig… Immerhin
werden seine Freunde untröstlich sein. Sehen Sie den Oberst da oben
mit dem unruhigen Gesichte; er rechnete so sicher darauf, sich am
i5. August das rote Band der Ehrenlegion umlegen zu können! …
Und die hübsche Frau Bouchard, die geschworen hat, der würdige Herr
Bouchard werde vor Ablauf eines halben Jahres an der Spitze einer
Abteilung im Ministerium des Innern stehen! Der kleine
d'Escorailles, Rougons Liebling, werde Herrn Bouchard zum
Namenstage seiner Frau die Ernennung auf den Teller legen… He, wo
sind sie denn, der kleine d'Escorailles und die hübsche Frau
Bouchard?«
    Die Herren suchten das Paar und entdeckten es endlich im
Hintergründe der Tribüne, auf deren vorderster Bank sie zu Anfang
gesessen hatten. Sie hatten sich da in den Schatten zurückgezogen
hinter einen alten Kahlkopf und saßen beide sehr still und sehr rot
da.
    In diesem Augenblicke beendete der Präsident seine Vorlesung. Er
warf die letzten Worte mit etwas

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