Seitenwechsel
Arthouse-Cinemas betrat. Ich betrachtete kurz das Programm, ohne danach schlauer zu sein. Sehr originell waren die Filme offenbar nicht gerade, denn was auch immer mich erwartete, es hatte mindestens ein Herz im Titel. Ich ließ mir von der gelangweilten Kartenverkäuferin eine kurze Inhaltsangabe geben. Offenbar hatte ich die Wahl zwischen einsamen französischen Herzen, die sich schon seit zehn Minuten ihr Leid klagten, und vermutlich für den Rest des Films auch nichts anderes tun würden, oder einsamen amerikanischen Herzen, die am Ende des Films wahrscheinlich glücklicher sein würden als ihre französischen Kollegen. Ich wählte die leichte Happy-End-Variante, auch wenn das bedeutete, dass ich noch eine Viertelstunde Werbung über mich ergehen lassen musste. Mit den Franzosen war ich für heute definitiv durch.
Zehn Minuten später bereute ich meinen Entschluss schon wieder. Nicht nur, dass ich mein Eis bereits vor der Eiswerbung aufgegessen hatte und die spärlichen Besucher, die sich mit mir auf die etwa dreihundert Sessel verteilten, längst ahnen ließen, dass der Film nicht gerade ein Anwärter auf die Top Ten war. Zu allem Überfluss erwies sich meine Vorstellung, im Kino abschalten zu können, als absoluter Trugschluss. Man konnte sich nirgendwo besser bemitleiden als in einem dunklen Kinoraum, besonders, wenn einem die Werbung im Minutentakt schöne, glückliche und verliebte Menschen vorgaukelte. Deos, Autos, Jeans. Alles machte so unwiderstehlich, dass sich jeder auf der Stelle seiner Klamotten entledigen musste. Und schon wanderten meine Gedanken wieder zu Tim und seiner Kollegin. Als sich auf der Leinwand dann auch noch zwei makellose Körper wegen einer albernen Flasche Mineralwasser durch kunstvoll drapierte Laken wälzten, hatte ich die Nase voll vom Kino. Ich stand auf und versuchte, im Dunkeln auf dem Weg nach draußen nicht über die Treppenstufen zu stolpern. Stattdessen stolperte ich über eine achtlos zur Seite gestellte Tasche.
»Verdammt!«, entfuhr es mir, als mich der Taschenbesitzer gerade noch davor bewahrte, nähere Bekanntschaft mit dem Boden zu machen.
»Tut mir leid«, sagte die männliche Stimme.
»Können Sie Ihre dämliche Tasche nicht woanders hinstellen? Die Fluchtwege müssen schließlich freigehalten werden.«
»Sicher. Ich wusste ja nicht, dass Sie auf der Flucht sind, Frau Schneider.«
»Äh, und woher kennen Sie bitte meinen Namen?«
»Aus Ihrer Personalakte.«
Das Fragezeichen in meinem Gesicht wurde größer, bis die Becks-Werbung den Kinoraum ein wenig erhellte und ich den bösartigen Taschen-in-den-Weg-Steller erkannte. Es war Hannes Jost, mein Chef.
»Unbequemer Sessel, aufdringlicher Sitznachbar, Mundgeruch?«, fragte er, während Joe Cockers »Sail Away« mit albernem Hip-Hop verjüngt wurde.
»Äh, was?«, fragte ich irritiert, weil ich es immer noch nicht fassen konnte, dass ich ausgerechnet meinen Chef angemotzt hatte. Was hatte er überhaupt um diese Uhrzeit im Kino und dann auch noch in einem mittelmäßigen Hollywood-Streifen zu suchen?
»Ich meine ja nur, der Film hat noch nicht angefangen, und Sie sind schon auf der Flucht«, präzisierte Herr Jost seine Frage. Er hatte wirklich einen eigenartigen Humor, aber das war mir schon bei der Arbeit aufgefallen. Die meisten meiner Kollegen konnten nichts damit anfangen – und im Moment war ich mir nicht sicher, ob ich nicht auch dazugehörte.
»Ach so, ja, ähm, nee, ich bin nicht … ich bin allein. Ich … ich … wollte mir auch nur noch etwas Popcorn holen.«
Auffordernd hielt er mir seine Jumbopackung entgegen. »Mein Abendessen. Aber ich würde es notfalls mit Ihnen teilen.«
Okay. Das war jetzt wirklich komplizierter, als es ausgesehen hatte. Wie sage ich meinem Chef Adieu, ohne unhöflich zu erscheinen? Und vor allem, ohne ihn gleich in die Tiefen meiner Beziehungsprobleme einweihen zu müssen. Ein unvorhergesehener Arbeitstermin schied definitiv aus, da die Morgenausgabe schon im Druck war, wenn sogar unser Ressortleiter Feierabend machte.
»Gesalzen, nicht gezuckert«, bekräftigte er seine Einladung.
»Ja. Gut. Danke«, sagte ich leise und wünschte, dieser schreckliche Abend wäre endlich überstanden. Stattdessen war ich jetzt gezwungen, Smalltalk zu betreiben, denn während ich noch mit meinem Schicksal haderte, eröffnete mein Chef das Gespräch schon mit einem lockeren Kommentar zu dem Film.
»Er ist nicht so schlimm, wie der Titel vermuten lässt.«
»Sie haben ihn schon
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