L'Adultera
Kommerzienrat van der Straaten
Der Kommerzienrat van der Straaten, Große Petri-
straße 4, war einer der vollgiltigsten Finanziers der Hauptstadt, eine Tatsache, die dadurch wenig alte-riert wurde, daß er mehr eines geschäftlichen als
eines persönlichen Ansehens genoß. An der Börse
galt er bedingungslos, in der Gesellschaft nur bedin-gungsweise. Es hatte dies, wenn man herumhorchte,
seinen Grund zu sehr wesentlichem Teile darin, daß
er zu wenig »draußen« gewesen war und die Gele-
genheit versäumt hatte, sich einen allgemein giltigen Weltschliff oder auch nur die seiner Lebensstellung entsprechenden Allüren anzueignen. Einige neuerdings erst unternommene Reisen nach Paris und Ita-
lien, die übrigens niemals über ein paar Wochen hinaus ausgedehnt worden waren, hatten an diesem
Tatbestande nichts Erhebliches ändern können und
ihm jedenfalls ebenso seinen spezifisch lokalen
Stempel wie seine Vorliebe für drastische Sprüchwörter und heimische »geflügelte Worte« von der derbe-
ren Observanz gelassen. Er pflegte, um ihn selber
mit einer seiner Lieblingswendungen einzuführen,
»aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen«
und hatte sich, als reicher Leute Kind, von Jugend
auf daran gewöhnt, alles zu tun und zu sagen, was
zu tun und zu sagen er lustig war. Er haßte zweier-
lei: sich zu genieren und sich zu ändern. Nicht als ob er sich in der Theorie für besserungsunbedürftig
gehalten hätte, keineswegs, er bestritt nur in der
Praxis eine besondere Benötigung dazu. Die meisten
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Menschen, so hieß es dann wohl in seinen jederzeit
gern gegebenen Auseinandersetzungen, seien ein-
fach erbärmlich und so grundschlecht, daß er, verglichen mit ihnen, an einer wahren Engelgrenze stehe.
Er sähe mithin nicht ein, warum er an sich arbeiten und sich Unbequemlichkeiten machen solle. Zudem
könne man jeden Tag an jedem beliebigen Konven-
tikler oder Predigtamtskandidaten erkennen, daß es
doch zu nichts führe. Es sei eben immer die alte Geschichte, und um den Teufel auszutreiben, werde
Beelzebub zitiert. Er zög' es deshalb vor, alles beim alten zu belassen. Und wenn er so gesprochen, sah
er sich selbstzufrieden um und schloß behaglich und gebildet: »O rühret, rühret nicht daran«, denn er
liebte das Einstreuen lyrischer Stellen, ganz besonders solcher, die seinem echt-berlinischen Hange
zum bequem Gefühlvollen einen Ausdruck gaben.
Daß er eben diesen Hang auch wieder ironisierte,
versteht sich von selbst.
Van der Straaten, wie hiernach zu bemessen, war
eine sentimental-humoristische Natur, deren Beroli-
nismen und Zynismen nichts weiter waren als etwas
wilde Schößlinge seines Unabhängigkeitsgefühls und
einer immer ungetrübten Laune. Und in der Tat, es
gab nichts in der Welt, zu dem er allezeit so beständig aufgelegt gewesen wäre wie zu Bonmots und
scherzhaften Repartis, ein Zug seines Wesens, der
sich schon bei Vorstellungen in der Gesellschaft zu zeigen pflegte. Denn die bei diesen und ähnlichen
Gelegenheiten nie ausbleibende Frage nach seinen
näheren oder ferneren Beziehungen zu dem Gutz-
kowschen Vanderstraaten ward er nicht müde,
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prompt und beinahe paragraphenweise dahin zu be-
antworten, daß er jede Verwandtschaft mit dem von
der Bühne her so bekannt gewordenen Manasse
Vanderstraaten ablehnen müsse, erstens weil er sei-
nen Namen nicht einwortig, sondern dreiwortig
schreibe, zweitens weil er trotz seines Vornamens
Ezechiel nicht bloß überhaupt getauft worden sei,
sondern auch das nicht jedem Preußen zuteil wer-
dende Glück gehabt habe, durch einen evangelischen
Bischof, und zwar durch den alten Bischof Roß, in die christliche Gemeinschaft aufgenommen zu sein, und
drittens und letztens, weil er seit längerer Zeit des Vorzugs genieße, die Honneurs seines Hauses nicht
durch eine Judith, sondern durch eine Melanie ma-
chen lassen zu können, durch eine Melanie, die, zu
weiterem Unterschiede, nicht seine Tochter, sondern seine »Gemahlin« sei. Und dies Wort sprach er dann
mit einer gewissen Feierlichkeit, in der Scherz und Ernst geschickt zusammenklangen.
Aber der Ernst überwog, wenigstens in seinem Her-
zen. Und es konnte nicht anders sein, denn die junge Frau war fast noch mehr sein Stolz als sein Glück.
Älteste Tochter Jean de Caparoux', eines Adligen aus der französischen Schweiz, der als Generalkonsul
eine lange Reihe von Jahren in der norddeutschen
Hauptstadt gelebt hatte, war sie ganz und gar
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