Selbs Mord
hinreißend schön, und sie war es auch noch als die alte Frau, als die sie die Photographie daneben zeigte.
»Aber fürs Heiraten fanden die Eltern die beiden zu jung.«
»Es war keine Frage des Alters. Die Familien hatten sich zum Prinzip gemacht, keine Ehen zwischen ihren Kindern zuzulassen. Sie wollten nicht, daß die beiden Partner Schwäger oder Vettern sind und daß zum Konfliktpotential des Geschäfts auch noch das der Familie kommt. Na ja, die Kinder hätten zusammen durchbrennen und sich enterben lassen können, aber die Kraft haben sie nicht gehabt. Jetzt, beim letzten Welker, war’s kein Problem mehr. Bertram ist das einzige Kind, und Stephanie war es auch, und die Eltern waren froh, daß das Geld beisammenbleibt. So viel ist es nicht mehr.«
»Sie ist gestorben?«
»Letztes Jahr bei einer gemeinsamen Bergwanderung abgestürzt. Ihre Leiche wurde nie gefunden.« Er schwieg, und ich schwieg auch. Er wußte, was ich dachte. »Es hat eine polizeiliche Untersuchung gegeben, die gibt es in solchen Fällen immer, und an ihm blieb nichts hängen. Sie hatten in einer Hütte übernachtet, er schlief noch, und sie brach schon auf und ging über einen Gletscher, über den er nicht gehen wollte. Haben Sie’s nicht gelesen? Die Zeitungen waren voll davon.«
»Kinder?«
Er nickte. »Zwei, ein Junge und ein Mädchen. Sind seitdem im Internat in der Schweiz.«
Ich nickte auch. Ja, ja, das Leben ist hart. Er seufzte, und auch ich machte bedauernde Geräusche. Er schlurfte in die Küche, nahm eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und ein schmutziges Glas vom Tisch, wischte das Glas mit dem Ärmel des Trainingsanzugs aus, machte die Dose mit gichtigen Fingern mühsam auf und schenkte den Inhalt zur Hälfte ein. Er streckte mir seine Linke mit dem Glas hin, ich nahm aus seiner Rechten die Dose und sagte: »Prost!«
»Prösterchen!« Wir stießen an und tranken.
»Sie sind der Archivar von Weller & Welker?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Der Beamte beim Staatsarchiv redet von Ihnen, als seien Sie Kollegen.«
»Na ja«, er stieß auf, »von Kollegen kann eigentlich nicht die Rede sein, und von einem richtigen Archiv auch nicht. Der alte Welker hat sich für Geschichte interessiert und mich gebeten, Ordnung in die alten Akten zu bringen. Wir kannten uns von der Schule, der alte Welker und ich, und waren wie Freunde. Er hat mir mein Haus für so gut wie nichts verkauft, und ich habe seinen Sohn unterrichtet und seine Enkel, und wenn wir einander helfen konnten, haben wir’s getan. Sein Keller war voll von alten Sachen und das Dach auch, und keiner hat sich ausgekannt und zurechtgefunden. Na ja, es hat auch keiner was damit angefangen.«
»Und Sie?«
»Was ich damit angefangen habe? Der alte Welker hat beim Umbau des alten Lagers Licht und Lüftung und Heizung in den Keller gebracht. Da sind die alten Sachen, und ich bin immer noch beim Sichten und Ordnen. Na ja, vielleicht bin ich doch der Archivar.«
»Und jedes Jahr kriegen Sie neue alte Sachen dazu – mir klingt das wie eine Sisyphusaufgabe.«
»Mhm.« Er ging wieder an den Kühlschrank, holte zwei Bier und gab mir eines. Dann schaute er mir in die Augen. »Ich bin Lehrer gewesen und habe mir ein Leben lang die dummen oder auch klugen Lügen von Schülern angehört, ihre Entschuldigungen, Ausreden und Ausflüchte. Bei mir geht es drunter und drüber; meine Nichte sagt es mir immer wieder, und ich weiß es selbst. Ich rieche nichts mehr, wissen Sie, nichts Gutes und nichts Schlechtes, keine Blume, kein Parfüm, nicht, wenn beim Kochen das Essen anbrennt oder beim Bügeln die Wäsche, und auch nicht, wenn ich stinke. Aber«, er nahm die Kappe vom Kopf und fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel, »ich bin nicht blöde. Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie wirklich sind und was Sie wirklich wollen?«
7
C oder L oder Z
Ein Lehrer bleibt ein Lehrer bleibt ein Lehrer, und einem guten Lehrer gegenüber bleiben wir Schüler, mögen wir noch so alt sein. Ich sagte ihm, wer ich sei und was ich wolle. Vielleicht sagte ich es ihm auch wegen unseres Alters; je älter ich werde, desto eher setze ich voraus, daß die, die in meinem Alter sind, auch auf meiner Seite stehen. Und ich wollte wissen, was er dazu sagen würde.
»Der stille Teilhaber … Das ist eine alte Geschichte. Bertram hat recht: Sein stiller Anteil war rund eine halbe Million, etwa so groß wie der Anteil der beiden Familien, und hat verhindert, daß die Bank Bankrott erklären mußte. Wir
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