Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
PROLOG
Wiener Innenstadt, Freitagabend. Die übliche Rushhour. Abgaswolken standen in der Luft, das Blech wälzte sich wie zähe Lava durch die Straßen. Offenbar wollten alle zur gleichen Zeit nach Hause. Mit Ausnahme von Peter Hogart.
Sein Job begann erstjetzt. Die meisten Firmenvorstände scheuten sich nicht, ihn kurz vor Wochenendbeginn zu engagieren. Während andere ihre Freizeit genossen, sollte er sich durch Aktenberge ackern, um bereits am Montagmorgen die ersten Ergebnisse zu liefern. Meistens traf das auch zu. Immerhin tat er alles für seinen Job. Privatleben gab es im Moment ohnehin keines für ihn, doch das musste er seinen Auftraggebern nicht unbedingt auf die Nase binden - außerdem konnte er manchen Kunden die Wochenendarbeit doppelt verrechnen.
Hogart scherte aus der Autokolonne und zwängte den Skoda in eine Seitengasse des Donauufers. Der mächtige Glasturm am Ende der darauf folgenden Allee hätte glatt einem Entwurf von Daniel Swarovski entstammen können. In den blau getönten Scheiben, die durch die Baumwipfel blitzten, spiegelte sich die Abendsonne. Träge beobachtet von den Linsen der Überwachungskameras, lenkte Hogart den Wagen auf den Besucherparkplatz vor dem Bürogebäude. Der Motor erstarb, Duke Ellington verstummte im Radio. Als Hogart ausstieg, riss ihm der Wind beinahe die Autotür aus der Hand. Laub wirbelte ins Wageninnere. Ein Blick zum Horizont, und Hogarts Laune sank in den Keller. Einer der letzten schönen Sommertage ging zu Ende. Soeben schob sich eine schwarze Wolkenfront vor die Sonne. Als Kind hatte er die Herbstgewitter geliebt und mit dem Fahrrad weite Strecken in Kauf genommen, nur um durch die tiefsten Pfützen zu rasen. Doch seit er vierzig geworden war, hasste er Regenwetter. Sobald das Klima feucht wurde, begann seine Hüfte zu schmerzen.
Hogart warf sich das Sakko über die Schulter, lief die Marmortreppe zur gläsernen Drehtür hinauf und schlüpfte in die Eingangshalle, bevor die ersten Tropfen fielen. In den elf Etagen über ihm befand sich die Wiener Zweigstelle des internationalen Versicherungsriesen Medeen & Lloyd. Hier wurden keine gewöhnlichen Haushaltspolicen abgeschlossen, sondern Millionenwerte versichert: Rennpferde, Diamanten, Oldtimer, barocke Gemälde, Güterzüge, Fluglinien und ganze Oltankerflotten. Dazu offerierte das Unternehmen Serviceleistungen, deren Liste länger war als das Wiener Branchenverzeichnis. Mit weltweit über zweihundert Vertriebsbüros und zwei Milliarden Euro Jahresumsatz zählte Medeen & Lloyd zu den Branchenriesen. Hogart kannte die Zahlen. Er hatte schon mehrfach für Medeen & Lloyd gearbeitet und stand in regelmäßigem Kontakt mit den Außendienstmitarbeitern.
Diesmal allerdings hatte ihn Kommerzialrat Rast, der Vorstandsdirektor und Geschäftsführer der Wiener Zweigstelle, persönlich in die Chefetage gebeten. Was auf den ersten Blick beeindruckend klang, konnte sich genauso gut als bedeutungslos erweisen. Immerhin war Hogarts Vater ein guter Freund von Rast gewesen. Somit war bei diesem Besuch alles möglich, von einem neuen Auftrag bis zum Aufwärmen alter Erinnerungen.
Die Besucherkarte an die Brust geheftet, verließ Hogart in der elften Etage den Fahrstuhl. Die trockene Luft kratzte wie Sandpapier in seinem Hals. In dem Gebäude roch es nach Kunststoff und den Fasern des grässlich-roten Teppichs, der sich endlos durch die Gänge wand. Kaum hatte sich die Lifttür geschlossen, flog vor Hogart eine Bürotür auf, und Helmut Rast trat in den Korridor. Wie immer trug der hochgewachsene Mann mit dem dünn gesäten Haarkranz und der Statur einer Vogelscheuche einen der feinsten Anzüge, den Hogart je gesehen hatte. Doch an diesem Nachmittag wirkte der alte Gentleman noch betagter als sonst. Die Tränensäcke unter den Augen waren gerötet, und die Hände - von Altersflecken übersät - so knorrig wie Wurzelholz. Sorgenfalten durchzogen sein Gesicht, aber der Mann sträubte sich beharrlich, von der Chefetage in die Rente zu wechseln. Er brauchte die Firma, seine Untergebenen und die Aufsichtsratssitzungen wie ein alter Dampfkessel die Kohlen.
»Hallo, Junge. Schön dich zu sehen«, knarrte Rast.
Hogart wollte ihm die Hand reichen, doch Rast legte ihm den Arm um die Schulter.
»Schicker Anzug«, sagte Hogart. »Gut siehst du darin aus.«
»Sei still, ich hasse es, belogen zu werden«, presste Rast in seiner typisch mürrischen Art hervor. »Hast du einmal so viele Jahre wie ich auf dem Buckel, plagen
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