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Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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für’s Geschirr würd’ ich heut’ vierhundert kriegen, und was meinst du, hab’ ich bezahlt? Na? Genau achtzig Mark. Und Kaffee und Kuchen hat sie mir auch noch vorgesetzt. Ein Glück, daß ihr Sohn bei der Bundeswehr war, der hätte mich, wenn er für fünf Pfennig Grips hat, hochkant rausgeschmissen.
    Daß du hier so wenig Bücher siehst, liegt daran, daß ich meine Raubdrucke, wenn ich sie ausgelesen habe, gleich wieder weiterverkaufe. Der Raubdruckmarkt hat seine eigenen Gesetze. Meistens schlag’ ich die Dinger mit Gewinn wieder los, weil die richtigen Sammler immer erst ein bißchen zu spät drauf kommen. Dann zahlen sie jeden Preis für’s „Geisterhaus“, weil es schon lang wieder out ist und nirgends mehr zu kriegen.
    Brauchst du übrigens ‘n Rasierwasser? Kannst dir eines von meinen Proben raussuchen. In der Stadt gibt’s dreiundsechzig Parfümerien, ich werde wohl pensioniert sein, bis ich die letzte Probe verbraucht habe. Aber von meinen Hotelhandtüchern klaust du mir bitte keins, an denen häng’ ich. Kannst dafür ein paar Minibar-Schnäpse mitnehmen. Ich trink’ keine scharfen Sachen, bring’s bloß nicht über’s Herz, sie stehen zu lassen, wenn ich das Zimmer schon bezahlt hab’. Seifen kannste auch haben, die wachsen mir alle paar Monate über’n Kopf. Aber dafür könntste mir ‘n Gefallen tun. Du hast doch ‘n Recorder. Nimmst du mir die Tanita Tikaram auf? Und auf die Rückseite vielleicht irgendwas von Springsteen, irgend ‘ne leere Kassette wirst du doch finden. Die Tikaram interessiert mich echt, hab’ schon zwei Leute, mit denen ich mir die Eintrittskarte teile. Ja, demnächst in der Waldbühne. Bei der Waldbühne ist das ganz einfach, man gibt die Karte einfach durch den Zaun wieder raus und der nächste kommt rein damit. Ja, klar, du sagst einfach, daß du nochmal rausgegangen bist und das Licht im Auto ausgemacht hast oder so. Mach’ ich immer. Dreißig Mark, die spinnen doch. Das ist doch die totale Geldmache. Sag mal, ist heut’ nicht Montag? Sollen wir ins Kino? Montags kostet es sechs Mark Einheitspreis für alle Plätze. Wir können die S-Bahn nehmen, meine Fahrkarte ist nicht abgeknipst, und um die Zeit kontrolliert sowieso keiner mehr. Du zahlst die Pizza, o.k.?

Eins und eins macht zwei
    Der ohne Vorurteile

    Das ist jetzt echter Quatsch, was du da sagst. Ich hab’ keine Vorurteile. Das sind Erfahrungen. Mach’ doch mal die Augen auf, dann kapierst du, was um dich her geschieht. Vorurteile! Blödsinn! Und außerdem, warum legst du deine Hand nicht auf eine heiße Herdplatte? Na? Vorurteil, was denn sonst?
    Also, jetzt mal der Reihe nach. Versuch’ doch mal, einen italienischen Barkeeper lächelnd um irgendwas zu bitten. Ich schwöre dir, er wird dich ignorieren. Und dann versuch’s mit der herrischen Tour, die die andern Gäste drauf haben. Na, was sagst du jetzt? Schwupps, kommt dein Campari auf den Tisch.
    Schau doch mal auf deinen Tacho, wenn du hinter einem Fahrer mit Hut herzockelst. Was siehst du? Richtig, fünfundsechzig Spitze auf gerader Strecke und Bremslichter hundert Meter vor der nächsten Kurve.
    Und frag’ doch mal einen langhaarigen Pickel-Heini mit Sandalen und Stofftasche, ob er bei der Bundeswehr war; und eine Frau, die mit einem Neger geschlafen hat, ob sie noch mal einen Weißen will. Frag’ einen Finnen, ob er dir seine Frau für eine Flasche Whisky überläßt, oder einen Engländer, ob Essig und Öl den Salat verderben oder würzen. Bau’ doch mal ein Haus in Spanien. Oder erzähl’ einem Jugoslawen einen Witz; oder einem Schauspieler, daß sein berühmterer Kollege nichts kann. Frag’ einen Japaner, ob er einen Fotoapparat besitzt, finde einen Amerikaner, der Beirut von Bayreuth unterscheiden kann, finde einen Schriftsteller, der noch nicht in Venedig war oder einen Arzt, der keine einzige Originalgrafik besitzt.
    Na siehst du. Es gibt einfach Dinge, auf die man sich verlassen kann. Das hat mit Vorurteilen nichts zu tun, das ist eine ganz normale und vernünftige Form der passiven Bewaffnung gegen eine immer feindlich bleibende Welt. Da kommst du mit deinem indo-evangelischen Getue nämlich nicht zurecht. Draußen in der echten Welt.

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