Zahltag
Deutschland — Sommer 2011
Wolfgang Moser war in Eile. Er sprintete aus seinem Büro, das er sich mit seinem Kollegen und Freund Max Richter teilte. „Ich bin dann mal weg. Bis nächste Woche.“
Er musste sich beeilen. In einer Stunde sollten sie bei seinen Schwiegereltern sein und seine Frau Brigitte wollte schon längst los. Die Fahrt alleine würde schon eine Dreiviertelstunde dauern — zum Umziehen war keine Zeit mehr. Im Laufen drückte er den Schlüsselknopf seines Porsches und hörte das Klacken der Türen. Die Sonne blendete ihn und erst jetzt viel ihm auf, welch ein schöner Sommertag herrschte.
Er drängte sich durch den abendlichen Verkehr und nahm seine Krawatte ab. Sein Handy meldete sich.
„Ich bin unterwegs. Warte vor der Tür . In zehn Minuten bin ich da.“ Seine Frau war wütend. Die Fahrt dauerte eigentlich nur ein paar Minuten, doch der Verkehr in die Innenstadt zog sich jedes Mal lange hin. Nur langsam kam er auf der Brücke voran.
Der Inn lag unter ihm und er sah hoch zur Maria-Hilf-Kirche . Früher waren seine Frau, sein Sohn Alexander und er oft hoch spaziert und hatten den Blick über die Dreiflüssestadt genossen. Passau war eine alte, sehr schöne Stadt. Doch oft dachte er
nicht darüber nach. Zu viele Probleme hatte er in letzter Zeit. Nicht erst in letzter Zeit, eigentlich hatte er sein ganzes Leben lang Probleme gehabt. Ja, er hatte schon immer viel Geld besessen, doch das Glück hatte ihn nie wirklich gefunden. Vielleicht war er einfach auch zu undankbar, sah das Glück vor der eigenen Türe nicht. Vielleicht aber war es auch schlicht nicht da. Er sah Jugendliche auf der Inn-Wiese sitzen und dachte an seinen Sohn. Dieser entwickelte sich zu einem Punk, was Wolfgang überhaupt nicht passte. Mit seinen Freunden verbrachte er die Nachmittage mit Faulenzen und Trinken am Inn, genauso wie diese Jugendlichen heute. Seine Haare waren mal blau, mal rot oder pink und er lackierte seine Nägel. Seine Frau hatte damit ebenfalls ihr Probleme, doch durch ihren Tablettenkonsum bekam sie ohnehin nicht viel von Alexander mit. Seit Jahren kämpfte sie gegen Depressionen und Angstzustände. Zweimal im Monat ging sie zum Psychiater, doch nichts half. Wolfgang wusste oft nicht mehr weiter.
Endlich kam der Verkehr wieder ins Rollen und es dauerte nicht lange , da bog er in die Mühltalstraße ein. Sie besaßen ein kleines Häuschen, das Wolfgang über alles liebte. Von Weitem sah er Brigitte schon vor dem Haus stehen. Ihr säuerlicher Blick war unübersehbar, doch da musste er jetzt durch.
„Wo bleibst du? Weißt du , wie spät es ist?“
„Ja, ja. Steig ein. Wir schaffen es noch.“
„Meine Schwester ist längst da.“
Wolfgang verdrehte die Augen. Wie ihn das alles ankotzte. Ihre Schwester Beate war alleinstehend, hatte keine Kinder und war frustriert, seit er denken konnte.
„Du wirst sicherlich nichts verpassen.“
Brigitte sagte nichts darauf, sondern sah aus dem Fenster. Wolfgang sollte es recht sein, sie zeigte ihm ohnehin nur noch die kalte Schulter. Wann der Bruch in ihrer Ehe gekommen war, das wusste er nicht mehr genau. Es war ein schleichender Prozess. Brigitte wünschte sich ein zweites Kind, doch das wollte nicht klappen und daraufhin fiel sie in eine Depression. Das war bereits vor zehn Jahren. Als sie sich endlich wieder ein wenig gefangen und einen Halbtagsjob bei einer kleinen Zeitung ergattert hatte, war plötzlich Alexander schwer erkrankt. Wolfgang dachte nicht gerne an diese Zeit zurück, denn sie war überstanden.
„Wie war dein Tag?“ Wolfgang versuchte die Stimmung etwas zu heben.
„Was denkst du?“ Wie er das hasste, wenn sie mit Gegenfragen kam.
„Was hast du gemacht?“
„Interessiert dich das wirklich?“
„Würde ich sonst fragen?“ Langsam wurde auch er aggressiv. Alles was er tat oder sagte war falsch. Also schwieg er wieder und sie blieb ihm die Antwort schuldig.
Wie erwartet saßen alle bereits am gedeckten Tisch. Brigittes Vater Anton fing sofort ein Gespräch mit Wolfgang an. Er war sein einziger Schwiegersohn und er mochte ihn sehr.
„Wo ist Alexander?“, fragte Hildegard, die Mutter von Brigitte.
Wolfgang hörte nur nebenbei zu , was seine Frau antwortete. Sie verteidigte ihren Sohn, er müsse lernen. Wolfgang verdrehte die Augen. Er wusste, dass er das nicht tat. Sicherlich hing er wieder mit seinen Freunden herum. Anton wollte ihm etwas im Garten zeigen und beide gingen hinaus. Währenddessen unterhielten sich
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