Sellavie ist kein Gemüse
Blocker, der Blocker, der immer den Unterricht mit seinem Kassettenrecorder mitgeschnitten hat und dann die besten Passagen auf den Elternabenden vorspielte. Der ist jetzt irgendwas bei der Uni. Dozent oder so. Ich konnte ihn nie leiden. Der kam an keinem Spiegel vorbei, ohne sich mit der Hand durch die Haare zu fahren und danach sofort den Kopf in den Nacken zu werfen, wie eine bekloppte Diva. Oder Raffi, ach, aber über Raffi zu reden ist Zeitverschwendung. Überhaupt diese ganze Klasse ist eine Ansammlung von Zeitverschwendung. Außer vielleicht Karin. Karin und Kiesel. Kiesel hieß übrigens deshalb Kiesel, weil er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit sagte: „Kannst dir ja ein Loch ins Knie bohren und einen Kieselstein reintun, dann haste ‘ne Trillerpfeife.“ Kiesel hat heut’ noch Humor. Er spielt nebenbei in einer Tanzband Orgel. Oder Synthesizer. Sein Repertoire an Witzen hat seither eher noch zugenommen. Und mit Karin konnte ich schon immer gut. Eigentlich schade, daß sie nach Lübeck geheiratet hat. Einen Fischkopf mit einem Fuhrunternehmen.
Die Hallesche Nationale ist keine Tageszeitung, hat Kiesel gesagt, und nach einer Stunde hatte er mich soweit, daß ich mich wieder mal für unterversichert hielt und ihm diese echt günstige kombinierte Reiserücktritts- und Was-weiß-ich-noch-was-Police abnahm. Oder Werner, der mit diesem Reisebüro in der Bechtoldstraße, der hat mich vor einem Jahr sogar dazu gebracht, eine Versicherung, die ich bei ihm abgeschlossen hatte, zu kündigen und eine bessere, die er inzwischen auch im Programm hat, zu nehmen. Kombinierte Haftpflicht und Hausrat. Ich glaube, ich habe jetzt drei Haftpflichtversicherungen. Privathaftpflicht, Berufshaftpflicht und die, die auch Beleidigungsklagen einschließt. Ich mach’ nie was kaputt. Kalli, mein Foxel, beißt keine Briefträger und als Besitzer eines Copy-Shops laufe ich höchstens Gefahr, mal eine Geburtsurkunde oder Magisterarbeit zu knicken. Und das nur dann, wenn die Leute zu doof sind, die Vorlagen selber in den Kopierer einzulegen. Was mach’ ich falsch?
Da ist noch Gerd. Gerd von der Allianz. Den hab’ ich im Sommer auf Menorca kennengelernt. Wir haben uns sofort gut verstanden, das heißt seine Frau und Jeanne konnten gut miteinander. Die Allianz ist ja in einigen Punkten deutlich überlegen. Diese Rückholversicherung bei Unfall oder Krankheit im Ausland, zu dem Preis ist die konkurrenzlos.
Vielleicht ist die Frage auch falsch gestellt. Vielleicht muß es nicht heißen: „Warum sind alle meine Freunde Versicherungsvertreter“, sondern: „Warum hab’ ich bloß drei Freunde?“ Oder sogar: „Warum ist diese Sorte Mensch gerade mit mir so gut befreundet?“ Oder: „Was findet Jeanne an dieser langweiligen Zicke von Gerds Frau?“ Oder andersrum.
Dark Side of The Moon
Der Rock-Roadie
Charlie kennt jeden. Und jeder kennt ihn. Ihn, Charlie , nicht zu kennen, das hält keiner lange durch. Es sei denn, er wäre eine Null, ein Nobody, ein Stück Scheiße auf Rädern. Mit Scheiße auf Rädern hat Charlie irgendwie eher nichts am Hut. Sorry, Mütze. Charlie trägt Mütze. Rot mit langem Schild, und jetzt darfst du mal raten, mit was für einer Aufschrift vorne drauf … na? … brauchst noch Bedenkzeit? Schwach, sehr schwach, das muß in zehn Sekunden kommen. Parmalat natürlich. Par-ma-lat! Charlie trägt nicht irgendeine Mütze, Charlie trägt die Mütze von Niki Lauda. Hat ihm der geschenkt, für besondere Verdienste. Ist natürlich nicht die Mütze von Lauda, nur eine Mütze von Lauda. Die andere. Lauda hat noch eine, die trägt er selber.
Auf dem Rücken von Charlies roter Satinjacke steht „Elton John World Tour 86“. Klar, besondere Verdienste, notfallmäßige Baggerung von Koks. Auf seinem Feuerzeug steht „Tina Turns You On“, das T-Shirt ist von ACDC, nein, das ist nicht der Allgemeine Deutsche Automobil-Club und, nein, es ist auch nicht sein einziges T-Shirt. Es ist eines unter zweiundneunzig. Alle original, alle von Hand geschenkt, vom Star, vom Tourleiter, vom Manager oder von einem Bandmitglied. Wer sind wir denn? Kaufen wir T-Shirts? Mann, echt, ich glaub’, ‘s hackt.
Charlies Turnschuhe sind von Puma. Jede Band hat’n Puma-Deal. Jeder Tourleiter hat’n Kofferraum voller Turnschuhe und Jogginganzüge. Charlies Flight-Case, das ist das, was Scheiße auf Rädern einen Aktenkoffer nennt, ist von der CBS und vor lauter Aufklebern ist die Aufschrift von Jennifer Rush kaum noch zu sehen.
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