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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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gegenüber war, hätte sie nicht ein so kompliziertes Netzwerk aus Lüge und Wahrheit weben müssen. Ihr kam es kompliziert vor, weil sie keine Übung im Erfinden von Tatsachen hatte, sie verabscheute alles Fiktionale. Sie las auch nichts dieser Art. Während ihrer Erzählung hatte sie dauernd Angst gehabt, von ihm mit der Frage unterbrochen zu werden: »... aber Schatz, wenn das so war, wie du sagst, wie kommt es dann, dass ...« Wie dieser Satz weiterging, konnte sie sich nicht vorstellen; sie hatte eben keine Übungim Lügen. Sie hatte in ihrem Leben noch nie gelogen. Sie war der Stimme ihres Herzens gefolgt. Wer das tut, braucht nicht zu lügen, braucht keine Rechtfertigungen zu erfinden, keine Beschönigungen.
    Aber nun war Lügen unausweichlich geworden. Denn man hatte sie zurückgewiesen. Wurtz hatte sie zurückgewiesen. Vom sachlichen Gehalt her war der Abend etwa so verlaufen, wie sie ihn ihrem Mann geschildert hatte. Abendessen mit Wurtz, das Dessert wurde serviert, und sie wurde abserviert. Dahinter steckte aber kein Plan, sie war sicher, dass Wurtz noch um acht nicht daran gedacht hatte, die Beziehung zu beenden, nicht bewusst daran gedacht ... konnte man unbewusst an etwas denken? Sie kannte sich mit dem Psychozeug nicht aus, sah darin nur billige Ausreden für Leute, die sich nicht trauten, sich selber einzugestehen, was sie wollten. Wie auch immer, an diesem speziellen Abend wollte Wurtz mit ihr ins Bett, daran gab es keinen Zweifel. Sie kannte diesen Blick, seine Anzüglichkeiten, die sie zum Lachen brachten, sie konnte nichts dagegen tun.
    Leider hatten sie sich dann gestritten. Das war normal, dass Paare sich streiten, und sie waren ein Paar, Herrgott noch mal! Seit Monaten. Nur eine kleine Weile noch, und sie hätte Semmler verlassen. Man kann Klagegesänge anstimmen, Tagebücher vollkritzeln, alle möglichen Therapien machen – es kommt immer auf dasselbe heraus: wenn der Ofen aus ist, gibt es keine Möglichkeit, das Feuer wieder zu entzünden, das ist so, war immer so und würde auch immer so sein. Es entsprach ihrer eigenen Erfahrung und der Erfahrung aller Leute, die sie kannte. Man konnte zwar, auch das gab es (wenn man ausreichend dumm war, es zu tun), dieses Feuer ersticken. Aber es gab keinen Weg, es zuentzünden. Im Fall des Falles entzündete es sich von selber. Man konnte es nähren, anfachen und so weiter, das schon – aber man konnte es nicht anzünden.
    Zwischen Semmler und ihr war es erloschen. So etwas passierte ständig. Ursulas Freundinnen verbrachten Monate damit, über die Gründe nachzudenken, ein ebenso ergebnisloses wie unnötiges Verfahren. Gründe gab es nicht. Warum schlug der Blitz in diesen Baum und nicht in den daneben? Wo lag da der Grund? Zufall war die einzig mögliche Antwort. Bei Beziehungen genau so.
    Sie hatten sich gestritten, Ursula kam aber nicht mehr drauf, weshalb. Wenn sie sich daran zu erinnern versuchte, senkte sich dichter Nebel herab. Es hatte auch keine große Bedeutung, wahrscheinlich ging der Streit um die bekannten Themen. Wahrscheinlich hatte sie etwas vorgeschlagen, was ihm gegen den Strich ging, dann reagierte er überempfindlich, fühlte sich bevormundet oder so ... es war lächerlich, eine Schwachstelle, jeder Mensch hatte solche Stellen, sie selber auch, eine davon, dass sie ihr blödes Maul nicht halten konnte, sie wusste das, es tat ihr jedes Mal leid. Hinterher. An diesem Abend war es sicher auch so gewesen, ein Wort gibt das andere, der Abend endet nicht im Bett, sondern in einer schweigsamen Heimfahrt. Einen Tag herrscht dicke Luft, dann Versöhnung. Und doch noch Bett.
    Aber dieses eine, dieses letzte Mal war etwas ganz anders abgelaufen. Er hatte sie bei ihrem Auto in der Radetzkystraße abgesetzt und war schnurstracks zu dieser Schlampe gefahren, die er von früher kannte, eine frisch Geschiedene, das soll nichts heißen, lebenslustig sei sie, hatte man erzählt, manche sagten »mannstoll« – wie dem auch sei, wie die Sache dann weitergegangen war, widersprach jeder Erfahrungund allem, was sie je gehört hatte. Ein frustrierter Mann ist das am wenigsten anziehende Geschöpf auf Gottes Erdboden, darin war sie sich mit ihren Freundinnen einig. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann in diesem Zustand eine deutlich jüngere Frau erobert, gleich Null. Deutlich jünger als Ursula. Es war verrückt. Eineinhalb Stunden nach dem frostigen Abschied in der Radetzkystraße lag er mit dieser Dame im Bett, mit einer Frau, die er bis dahin nur

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