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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Treppenhaus. Gleich werden die Sicherheitsschleusen geöffnet, gleich heißt es: Aufsicht Altar unterer Einlass sieben zur Stelle.
    Rafaela, das gebe ich Ihnen, ich brauche das Zeug nichtmehr. Achten Sie in der Mappe mit dem Anhang auf das Sadoleto-Zitat bei Lessing. Sie werden erkennen, dass ich seiner Interpretation nicht ganz folgen kann.
    Eli ist aufgestanden, sie nimmt das Bündel, sie reicht ihm die Hand.
    Danke, Herr Professor Salzmann, ich bin so frei, ich nehme Ihr Angebot an, aber nur für zwei Wochen oder drei, während der Winterzeit. Im Frühling werden Sie die Aufzeichnungen wieder in Ihren Händen haben. Eli spricht schnell, laut, distanziert, dann plötzlich kumpelhaft, als wäre sie angesäuselt, fast betrunken. Nicht unterkriegen lassen.
    Zum Schluss hat Eli noch eine Bitte.
    Wenn Sie nichts dagegen haben, lasse ich das Foto von der Laokoon-Skulptur, das ich bei Ihnen in den Papieren gesehen habe, kopieren. Nicht unterkriegen lassen.
    Ich wusste nicht, dass es in der Mappe mit den Übersetzungsversuchen steckt. Es muss durch ein Versehen hineingeraten sein. Ich habe das Foto von einem Kollegen aus Rom bekommen. Es zeigt die Skulptur, wie sie seit ein paar Jahren in den Vatikanischen Gärten wieder zu sehen ist. Es gab da vor ein paar Jahren ein Aufsehen beim Tausch der Arme. Ich habe die Marmorgruppe immer nur als Torso vor Augen. Wie Sadoleto. Sadoleto kannte weder den einen noch den anderen Arm. Ich schenke Ihnen das Foto.
    Salzmann eilt, denn in diesem Augenblick werden das Portal und die Sicherheitssperren entriegelt, der öffentliche Museumsbetrieb beginnt.
    Danke, Professor Salzmann, danke für die goldenen Morgenstunden.
    Eli fährt sofort auf langem Weg in ihre Bleibe zurück, das Foto ist ein Schatz und der Beweis. Salzmann hatte es nur am Rande beachtet. Er lebte in einer anderen, in seiner lateinischen Wahrheit, darin wollte ihn Eli nicht stören. Sie denkt andas rote Ahornblatt, an verschiedene Zeichen, auch an Sachen, die er ziemlich deutlich gesagt hat.
    Sie hockt auf der Gottschalk-Chaiselongue, die geliehene Mappe auf dem Schoß, Gummilitze spannt übereck, so sind die Seiten gesichert. Auf dem Deckel oben entziffert Eli eine blasse Aufschrift, mit Bleistift. Gepr. Gen. Belicke, Abt. 20. Das ist nicht Salzmanns Schrift, das hat ein anderer auf die Mappe geschrieben. Ein Leser. Ein Leser?
     
    Lieber Anton, ich lerne jetzt Latein.
    Liebe Eli, ich dachte, das kannst Du, ich dachte, Du hast nun einen Abschluss und fängst an, ich dachte in einem Kino.
    Lieber Anton, das dachte ich auch.
    Um zu lernen, habe ich jetzt meine eigene Methode – weil ich über Tag in Sanssouci mit Schaufel und Schieber keine Hand freihabe für das Lateinbuch, schreibe ich die Sachen, die ich mir merken will, auf Zettel und hänge sie längs meiner Wege an Sträuchern und Bäumen auf. So findet man kreuz und quer durch den Park die sechzig Zeilen des Gedichts, das ich von Professor Salzmann bekommen habe, von: Ecce altro, bis: intendere fastum.
    Ein Blick auf das Wort, und ich schippe auf dem Weg weiter, ich schaufle den frisch gefallenen Schnee beiseite bis zur nächsten Vokabel, Schritt für Schritt durch Sanssouci: den Theaterweg, Hippodrom, Fasanerie, Krimlindenallee. Es ist meine Methode des Lernens, schrittweise, es ist eine Methode, die auf einer anderen Methode fußt, der Schliemann-Methode, dem Auswendiglernen von Texten, um so hinter das Geheimnis einer Sprache zu kommen. Der berühmte Altertumsforscher Schliemann hat auf diese Art zwanzig Sprachen gelernt, für Russisch hat er drei Monate gebraucht. Ich lerne Russisch seit zehn Jahren, ich dekliniere den Kasus und konjugiere die Verben, ich kann sogar einige Ausnahmen mit dem Kirchenslawischenin Beziehung bringen, aber die Russen in Sanssouci verstehe ich leider nicht. Sie schweigen, und ich kann nicht sprechen. Es ist eine Unterrichtsmethode, die, wie man an mir sieht, nichts bringt.
    Nun lerne ich im Gehen, im Schweiße des Angesichts, im Geldverdienen oder während der Arbeit.
    Erlaubt ist das nicht, aber es ist auch nicht verboten. Im Depot muss ich eine Karre mit Streusand beladen. Im Selloweg hängen die Zettel mit dem letzten Vers, an der Jubiläumsterrasse hängt der Schluss, dort entlang schiebe ich die Karre. Dann fange ich wieder am Rehgarten an, Schnee schippen, Sand streuen und Vokabeln, ich wiederhole: Ecce altro terrae e cumulo ingentisque ruinae – Schau, aus tiefer Erde und dem Innersten gewaltiger Ruine entbarg und brachte

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