Sepia
zurück die lang währende Zeit Laokoon.
Spaziergänger gibt es zu dieser Morgenstunde nicht auf den Wegen. Auch später bleibt der Park menschenleer, der Baumexperte hat alle Tore verschlossen, sogar das Wirtschaftstor an der Fasanerie, denn wechselnde Warm- und Kaltfronten haben den Schnee auf den Bäumen zu zentnerschweren Lasten gefrieren lassen. Bruchwarnung. Das Betreten der Alleen und Waldwege ist bis auf weiteres untersagt. Vorsichtshalber gilt der ganze Park als Gefahrenzone. Und es wird immer schlimmer.
Tag für Tag Neuschnee, alles bleibt oben in den Bäumen liegen, am stärksten betroffen sind die Rhododendren und Koniferen, also die immergrünen Gehölze. Schon sind Kiefernäste heruntergebrochen und auf die Wege gestürzt.
Ein Reh ist von Schneebruch getötet worden.
Ein streunender Hund sei zu Schaden gekommen.
Auch Eli findet man in tiefem Schnee, aber sie war einfach nur eingeschlafen, im Schutz einer Thuja occidentalis, die, vonder Wetterseite her krummgebogen, schließlich zu einer Höhle zugeweht worden war.
Durch ein offenes Fenster hört sie Stimmen, hell, wie an einem Frühsommermorgen.
Wo seid ihr, wo seid ihr?
Hier hier, ruft das Echo.
Die Nachdichtung der Gedichtzeilen aus
The Prelude
von William Wordsworth wird zitiert nach Bernard Andreae,
Malerei im Verborgenen. Die bemalten Gräber von Paestum
, in:
Malerei für die Ewigkeit. Die Gräber von Paestum
, München 2007.
Die Zitate S. 201 stammen aus Truman Capote,
Die Grasharfe
. Aus dem Amerikanischen von Annemarie Seidel und Friedrich Podszus, neu durchgesehen von Birgit Krückels, Frankfurt/M. 2000.
Die Tagebuchauszüge von Ludwig Pollak stellen eine literarische Bearbeitung der bei Margarete Merkel Guldan,
Die Tagebücher von Ludwig Pollak. Kennerschaft und Kunsthandel in Rom 1893–1934
, Wien 1988, zitierten Tagebuchstellen dar.
Die Autorin dankt dem Albertinum, Dresden, für die Einsicht in den Briefwechsel zwischen Ludwig Pollak und Georg Treu.
Informationen zum Buch
Der poetische Blick auf die sechziger Jahre
Mit 17 wird es Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen, findet Eli. Gelegenheit dazu bietet das Studium der Kinematographie in Potsdam. Was es damit auf sich hat, muss sie freilich noch herausfinden. Man schreibt das Jahr 1958, und Eli, die gelernte Gärtnerin, wird unter all den Intellektuellen »die proletarische Perle in der goldenen Krawattennadel«. Nach und nach begreift sie, dass es außer um Filme auch um Haltungen geht in einer Welt, die sich immer schärfer in zwei Lager teilt. Selbst als genau vor der Hochschule die Mauer hochgezogen wird, löst Eli ihre Konflikte nicht nach ideologischen Vorgaben, sondern nach moralischem Gefühl und gesundem Menschenverstand – naiv, dickköpfig, listig.
»Dass man Schweres mit leichter Hand aufschreiben kann, hat Helga Schütz mit all ihren Büchern bewiesen.« Sächsische Zeitung
Informationen zur Autorin
HELGA SCHÜTZ wurde 1937 in Falkenhain/Schlesien geboren. 1944 übersiedelte sie nach Dresden. Sie erlernte den Beruf der Gärtnerin, anschließend studierte sie an der Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg und schloß als Diplom-Dramaturgin ab. Sie schrieb Drehbücher und Szenarien für Spiel- und Dokumentarfilme. Seit 1962 ist sie freie Autorin, 1993 erhielt sie eine Professur für Drehbuchschreiben an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam. Unter anderem gewann sie den Stadtschreiber-Literaturpreis des ZDF und der Stadt Mainz und den Brandenburgischen Literaturpreis. Helga Schütz lebt in Potsdam.
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