Sepp und seine Bande
du dich auch so ungeschickt bewegt?“
Ja, dieser saugrobe Bayer besaß tatsächlich die Frechheit, dem dicken Willem in diesem Ton zu kommen!
Bewegt hatte sich der dicke Willem allerdings wirklich, aber nur ein bißchen, weil er auf dem Pult so unbequem lag: mit dem Kopf nach unten und dem Gegenteil nach oben — so, als liege er bäuchlings auf der Uferböschung des Rheins und versuche, mit der bloßen Hand Forellen zu fangen.
So anstrengend es auch war — der dicke Willem beschloß eisern, sich nicht mehr zu bewegen bis zum Ende dieser lächerlichen Prozedur.
Mal sehn, ob der verflixte Knilch es noch mal wagt, mich zu stechen... So dachte er wenigstens...
Doch da! — beim siebenundsechzigsten Reißbrettstift quietschte er wieder auf und trat um sich wie ein Droschkengaul, der sich vom Schmied nicht beschlagen lassen will.
„Verdammt noch mal, du Hund!“ quetschte der dicke Willem zwischen den Zähnen hervor und richtete sich dabei drohend auf.
Aber er hatte nicht leise genug gequetscht, denn Studienrat Dr. Pöttgen hatte jede Silbe verstanden. „Hier wird nicht geflucht, Junge!“
So wies er den dicken Willem zurecht und tadelte gleich darauf Sepp:
„Wenn du das noch mal machst, dann ..
achtundsechzig —zählte Sepp jetzt besonders laut, „— neunundsechzig — fertig!“
„Wieviel?“ erkundigte sich der Lehrer. „Neunundsechzig...?“
„Ja, Herr Doktor.“
„Also dann schreibst du für morgen neunundsech-zigmal was?“
„Ich darf meinem Mitschüler keine Reißbrettstifte auf den Sitz legen.“
„Gut!“ bestätigte der Lehrer. „Setzen, Dallmayer! Und du auch, Willem!“
„Halt!“ rief Sepp rasch und stupste Willems Gesäß wieder in die Höhe. „Ich muß erst noch die Reißbrettstifte vom Sitzplatz wegnehmen.“
Wie der schwarze Zorro, der einem Erzhalunken blutige Rache geschworen hat, so stand der dicke Willem da, zitternd vor Wut, und schaute zu, wie Sepp mit der rechten Hand die restlichen Heftzwecken in die Schachtel strich. Es waren die Stifte, die beim Auskippen so hingepurzelt waren, daß sie verkantet und nicht mit der Spitze nach oben liegengeblieben waren — was für Sepp besser war, für Willem dagegen schlimmer gewesen wäre. Wie ja so vieles im Leben seine zwei Seiten hat!
Nun war die Schachtel wieder pickepackevoll bis zum Rand. Sepp schob sie zu und verstaute sie zufrieden in der Tasche, während der dicke Willem sich endlich wieder hinsetzen konnte auf seinen Platz und seinen Hintern, der durchlöchert war wie ein Schweizer Käse — etwas übertrieben ausgedrückt.
Sepp war mit dem Ergebnis seines Unternehmens zufrieden, wenn es ihm auch eine Strafarbeit eingebracht hatte und die schlechte Meinung seines Klassenlehrers. Nun, der erste Tag war ja nicht der letzte in der neuen Klasse. Bald würde der Lehrer schon einen besseren Eindruck von ihm haben!
Während Sepp also zufrieden mit sich selbst nach Hause zog, kochte der dicke Willem vor Wut und Rachsucht, und packte die erste beste Gelegenheit beim Kragen.
Sepp stapfte gerade auf dem rechten Gehsteig vor sich hin — Willem mit Männe, Flöhchen und Brillenschlange, dem Klassenprimus, hielten sich auf der linken Seite, und zwar immer auf derselben Höhe. Als Sepp an der nächsten Kreuzung die Straße überquerte, tat Willem mit seinen Leuten das gleiche von der anderen Seite her, obwohl das eigentlich gar nicht seine Richtung war. Schnurstracks marschierte Willem auf seinen Gegner los, und als Sepp ausweichen wollte, schwenkte auch Willem seitlich. Seine Absicht war klar und deutlich: Er wollte mit Sepp zusammenprallen.
Mitten auf der Fahrbahn einer ruhigen, verkehrsarmen Nebenstraße geschah das beabsichtigte Unvermeidliche: Willem und Sepp stießen zusammen — frontal wie zwei Lokomotiven auf demselben Schienenstrang.
„Entschuldige dich, du Esel!“ schnauzte Willem den um zwei Kopf kleineren Widersacher an.
„Wofür?“
„Wofür??“ schnaubte der dicke Willem. „Weil du in deiner Dämlichkeit gegen mich gelaufen bist!“
„Du gegen mich!“
Wumm! schon im nächsten Augenblick warf der dicke Willem seine Schulmappe auf den Boden, um beide Hände frei zu haben. Auch Sepp ließ seine Tasche mit den Büchern fallen — aber nicht freiwillig, sondern weil er, von einem schweren Kinnhaken getroffen, nach hinten torkelte.
Burschi, Burschi — der war nicht von schlechten Eltern! So dachte Sepp, während er sich das schmerzende Kinn rieb. Als er das schadenfrohe Gelächter von Willem,
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