Sepp und seine Bande
schämte sich ein bißchen, daß sie Herrn Dallmayer gerade jetzt in der Mittagszeit gestört hatte. Der Wasserhahn tropfte nämlich schon seit fünf Wochen, ohne daß sie deswegen wahnsinnig geworden wäre — wie sie behauptet hatte. Mehrmals schon hatte sie es dem alten Hausmeister gemeldet, und der hatte auch jedesmal versprochen, den Schaden zu beseitigen. Aber bei diesem Versprechen war es stets geblieben.
Da war der neue Hausmeister aber anders! Der hatte alles stehen und liegen lassen, um den Wasserhahn zu reparieren, obwohl er in seiner eigenen Wohnung sicher genug Arbeit hatte, bis alles am richtigen Platz stand und eingeräumt war.
Nein, so überlegte Frau Fischer weiter, wie rasch hat man doch ein Vorurteil über einen Menschen gefällt! Und wie leicht kann man sich in einem Menschen täuschen...
Während Frau Fischer bedauerte, geschellt zu haben, freute sich Sepp über diese Ablenkung. Er hatte die günstige Gelegenheit benützt, sich dem elterlichen Verhör zu entziehen, und war ins Badezimmer gegangen. Im Spiegel betrachtete er sein blaues Auge.
Burschi, Burschi, das sieht ja ganz schön gesalzen aus! mußte sich Sepp eingestehen. Vom Turnen kann das wirklich nicht kommen...
Auch mit Wasser und Seife ließ sich nichts davon wegwischen. Br kühlte die brennende Stelle, kämmte sich die zerzausten Haare und setzte sich dann an den gedeckten Mittagstisch, schweigsam und mit einem gesegneten Appetit.
Tjaja, die Schule macht hungrig!
Nichts für Kranke und Krüppel
Am frühen Nachmittag saß Sepp in seinem Zimmer über den Aufgaben. Das Englischbuch brauchte er gar nicht erst aufzuschlagen: den betreffenden Abschnitt in der Grammatik kannte er auswendig noch von seiner Münchener Zeit her.
Das bißchen Mathematik und Physik war ihm an sich auch nichts Neues mehr, aber er steckte seine Nase trotzdem noch einmal in beide Bücher — vorsichtshalber. Zu schreiben brauchten sie für den folgenden Tag auch nichts — außer Sepp: nämlich neunundsechzigmal „Ich darf meinem Mitschüler keine Reißbrettstifte auf den Sitz legen“.
Diese Strafarbeit hatte er sich jetzt vorgeknöpft. Er hatte aus dem Mittelteil eines Hefts einige Bogen herausgelöst und bereits drei Seiten in seiner klaren, sauberen Handschrift beschrieben. Nur zehn Sätze gingen auf jede Seite, denn jeder Satz füllte fast zwei Zeilen.
Schon dreißigmal hatte er geschrieben: „Ich darf meinem Mitschüler keine Reißbrettstifte auf den Sitz legen“ — immer wieder denselben albernen Satz, der ihm bereits vor den Augen flimmerte...
Kein Wunder, daß Sepp die Nase schon voll hatte!
Gerade als er zum einunddreißigstenmal die ersten beiden Wörter oben auf die vierte Seite setzte, jubelte es draußen aus einem halben Dutzend Jungenkehlen:
„Tor! Tor! Tor!“
Sepp warf den Füller hin und stürzte ans offene Fenster, das auf den weiten Innenhof mit seinen langen Garagenreihen rechts und links blickte. Schon seit einigen Minuten hatte er aus dem fröhlichen Geschrei und dem Aufklatschen des Balles vernommen, daß sich dort unten eine Jungenschar die Zeit auf angenehmere Weise vertrieb als er mit seiner blöden Strafarbeit. Und als er jetzt hinausschaute, zählte er dreizehn Spieler, die sich um einen Lederball balgten, als kämpften sie um den Pokal der Landesmeister.
Dreizehn Mann: auf der einen Seite sieben, auf der anderen nur sechs — wenn ich da noch mitspiele, dann ist jede Mannschaft gleich stark!
So überlegte Sepp kurz und stürmte aus seinem Zimmer hinaus in den Garagenhof. Die blöde Strafarbeit kann ich nachher weiterschreiben — Fußballspielen ist schöner!
Es störte Sepp überhaupt nicht, daß sich unter den Fußballspielern auch der dicke Willem befand sowie Männe, Flöhchen und der käsigbleiche Streber und Primus der achten Klasse, dem die Kameraden wegen seiner fast randlosen Brille den Spitznamen Brillenschlange gegeben hatten.
Die Geschichte mit den Reißbrettstiften und die Rauferei mit dem dicken Willem hatte er in diesem Augenblick schlagartig vergessen, und Strafarbeit hin — Strafarbeit her: ein Fußball versöhnt und macht aus Streithähnen echte Sportfreunde.
Was für ein Trugschluß!
Sepp kam auf den Hof hinausgelaufen, mit klopfendem Herzen und geröteten Backen vor Aufregung.
„Darf ich mitspielen? Ihr seid’s doch zu wenig. Bei der einen Mannschaft fehlt einer.“
Er rief diese Worte dazwischen, als der dicke Willem gerade einen Bombenschuß links neben das gegnerische Tor abgefeuert
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