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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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haben auch Miniatur-Drohnen klein wie Schmetterlinge oder Hummeln die langsam durch die Straßen fliegen und gezielt durch die Fenster schießen oder als Ganzes explodieren und neuerdings auch eine Art denkenden tödlichen Staub – hör auf! immer wieder muss ich Sami darauf hinweisen dass er vor den Kindern weder über den Krieg noch über den Präsidenten reden sollte Tarik berichtete für die UNICEF dass immer mehr Kinder an Alpträumen und Schlaflosigkeit litten dass sie nur noch Bilder vom Krieg malten zusammenzuckten bei jedem lauten Geräusch
    Achmed aber klatscht vergnügt in die Hände wenn Sami von den fantastischen amerikanischen Waffen spricht er hält es für ein Spiel und sein Bruder wohl auch unter dem Bildschirm des Himmels denken siekönne ihnen nichts ernsthaft geschehen sie erhielten allenfalls eine Art Punkte-Abzug
    die Baathisten und die Zionisten sonst keiner
    meint Yusuf dann wäre doch schon alles o.k. er dreht den wolligen Kopf hin und her und grinst sein Gesicht mit der großen Nase den lustigen Augen ähnelt jetzt sehr dem seiner zehnjährigen Schwester im Gegensatz zu Sami hasst er die Amerikaner auch wenn er mit ihm ständig Hollywood-Filme anschaut man kann ihn aber nicht ernst nehmen denn er sagt die merkwürdigsten Dinge und lächelt dabei als wäre er der Letzte der das glaubte was er gerade sagte seit zwei Jahren himmelt er mich an und will mir Armbänder und Kettchen schenken die er in seiner Goldschmiedelehre anfertigt
    die Amerikaner sollen staunen ich werde Bodybuilder! erklärt Achmed und lässt seine Schwester seinen kleinen dicken Oberarm befühlen was sie gutmütig anerkennend auch tut wobei sie mir einen suchenden Bick zuwirft als könnte ich ihr auf Frauenart klar bedeuten was es mit dem Kriegsgerede unserer Brüder genau auf sich hat
    ich weiß es nicht und sitze nur hier im grünen Hauskleid mit Turnschuhen an den nackten Füßen auf der Brüstungsmauer neben Sami wir atmen reden lachen und fürchten uns diskutieren in der warmen Sonne so unglaublich
    unbehelligt
    es ist einfach nicht zu fassen dass man uns angreifen bombardieren auslöschen will seit einem Jahr seit Nine Eleven stehe es fest sagt meine Mutter sie sagte sofort als sie es erfuhr WIR werden das ausbaden müssen garantiert und schon
    tauchte der PRÄSIDENT im Fernsehen auf
    um zu erklären dass Amerika nun endlich den Schmerz am eigenen Leib empfinde den es gemeinsam mit den Zionisten den Palästinensern jeden Tag zufüge was ich zunächst ganz einleuchtend fand bis Tarik sagte das mache dann 365 mal 3000 Tote im Jahr in den berühmten palästinensischen Wolkenkratzern ich meinte aber doch nicht die Anzahl der Opfer sondern den Umstand dass den Amerikanern einmal etwas im eigenen Land zustieß den Zivilisten wie bei uns nicht immer nur den Soldaten die sie in alle Welt schickten
    da ist etwas dran erwiderte Tarik aber stell dir ein Mädchen vor (vordem Hintergrund eines Bildschirms auf dem nun wieder Knabenchöre das Lied Saddams Lebenspuls! zu Gehör bringen) ein Mädchen deines Alters im World Trade Center
    es will studieren wie du oder es hat gerade mit dem Studium begonnen
    ihr hättet euch in London begegnen können oder in Paris
    bei McDonald’s oder Starbucks ich denke wir würden uns streiten über die Palästinenser die wir verteidigen und die Israelis die ihr verteidigt über das Embargo die hinter uns liegenden Kriege und den der uns anscheinend bevorsteht wenn ich den Leuten glauben kann
    wäre ich dann in London (wo ich nicht mehr sein will
    Geliebter!)
    dann sähe ich am Bildschirm in Wohnzimmern Studentenheimen Cafés
    das Feuer über dem brennenden Leib des Irak und Bagdad in Schutt und Asche wie in einem Hollywood-Streifen und ich würde es nicht glauben können so wie man es im Schlaf oder Halbschlaf auch nicht glauben kann dass eine Bombe auf die Stadt fällt zumindest wenn es nicht in unmittelbarer Nähe passiert und die Mauern der Häuser nicht beben ich frage mich bisweilen was man denn glauben kann sogar Schwerstverletzte und Sterbende (sagt Tarik) glauben es nicht wir
    sitzen hier in der frühen Abendsonne Ungläubige in der Religion des Todes
    ich will nicht nach London gehen wenn ihr alle hierbleibt es
    ist nur eine Möglichkeit sagte mein Vater er müsse noch mit seinem Bruder Ibrahim ausführlich reden der seit zehn Jahren an der Themse lebt er werde es auch nicht alleine entscheiden ich solle nachdenken aber ich weiß nichts ich möchte nur hier sitzen und zusehen wie sich alle

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