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Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Titel: Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hartman
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rechnete jeden Augenblick damit, dass mich mein Vater hinter einer Säule abpasste.
    »Danke!«, rief eine ältliche Hofdame, als ich an ihr vorüberging. Sie presste die Hände aufs Herz. »Nie hat mich etwas so tief bewegt.«
    Ich verbeugte mich knapp, aber ihre offenkundige Begeisterung machte einige Höflinge in der Nähe auf mich aufmerksam.
    »Hervorragend!«, hörte ich sie sagen und »Großartig!«. Ich nickte freundlich und versuchte zu lächeln, während ich den Händen auswich, die sich mir entgegenstreckten. Hastig bahnte ich mir einen Weg und mein Lächeln kam mir so steif und aufgesetzt vor wie das eines Saarantras. Ich zog vorsichtshalber die Mantelkapuze hoch, als ich an einer Gruppe von Bürgern in selbst gewebten weißen Tuniken vorbeikam.
    »Ich habe mehr Menschen beerdigt, als ich zählen kann – mögen sie alle an der himmlischen Tafel sitzen«, rief ein alter Handwerksmann, der sich eine weiße Filzhaube auf den Kopf gestülpt hatte. »Aber heute habe ich zum ersten Mal die Stufen zum Himmel gesehen.«
    »Ich habe noch nie jemanden so spielen hören. Glaubt ihr, dass sie eine Frau wie jede andere ist?«
    »Vielleicht ist sie eine Ausländerin.« Sie lachten.
    Ich schlang die Arme um mich und beschleunigte meine Schritte. Rasch küsste ich meine zum Himmel gewandten Knöchel, denn das macht man so, wenn man eine Kathedrale verlässt, selbst wenn man … jemand wie ich ist.
    Ich trat hinaus in das fahle Licht des Nachmittags und atmete die kalte, frische Luft tief ein. Langsam wich meine Anspannung. Der Winterhimmel war strahlend blau; heimkehrende Trauergäste huschten in dem scharfen Wind hin und her wie Blätter.
    Da bemerkte ich den Drachen, der auf den Stufen der Kathedrale auf mich wartete und nun lächelte, so gut ein Drache eben lächeln konnte. Niemandem auf der ganzen Welt hätte Ormas schiefer Gesichtsausdruck das Herz erwärmt – außer mir.

Zwei
    O rma musste keine Glocke tragen, weil er ein Gelehrter war, deshalb ahnte praktisch niemand, dass er ein Drache war. Natürlich legte er deren Eigenheiten an den Tag: Er lachte nie, er verstand nichts von hübscher Kleidung, von gutem Benehmen oder Kunst; er hatte eine Vorliebe für höhere Mathematik und für Stoffe, die nicht kratzten. Ein anderer Saarantras hätte ihn am Geruch erkannt, aber nur sehr wenige Menschen hatten eine so gute Nase, dass sie den Saar eines Drachen wahrnahmen oder überhaupt wussten, wie er roch. Für die meisten Bewohner von Goredd war Orma ein Mann wie jeder andere: groß, schlank, bärtig und mit Brille.
    Der Bart war allerdings falsch. Als kleines Kind hatte ich ihn einmal abgerissen. Männliche Saarantrai hatten keinen Bartwuchs. Das war eine der Besonderheiten, die ihnen blieb, wenn sie sich verwandelten, genauso wie ihr silberfarbenes Blut. Orma trug den Bart nicht zur Tarnung, ich glaube, er gefiel sich so einfach besser.
    Er winkte mir mit seinem Hut, dabei war er auch so kaum zu übersehen. »Du spielst die Glissandi immer noch zu schnell, aber das Vibrato scheinst du inzwischen zu beherrschen«, sagte er, ohne sich lange mit einer Begrüßung aufzuhalten. Drachen verstehen nicht, wozu das gut sein soll.
    »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte ich spitz, bedauerte jedoch sofort meinen Sarkasmus, auch wenn Orma ihn vermutlich gar nicht bemerkte. »Schön, dass es dir gefallen hat.«
    Er blinzelte und legte den Kopf schief, so wie er es immer tat, wenn er ahnte, dass er etwas Entscheidendes übersehen hatte, aber nicht wusste, was es war. »Du findest, ich hätte zuerst einen Gruß sagen müssen?«, fragte er aufs Geratewohl.
    Ich seufzte. »Ehrlich gesagt bin ich zu müde, um mich darüber zu ärgern, dass meine Spieltechnik nicht vollkommen war.«
    »Das ist es, was ich wohl niemals verstehen werde«, sagte er und schlenkerte seinen Filzhut. Anscheinend hatte er vergessen, dass er zum Aufsetzen gedacht war. »Hättest du perfekt gespielt – so perfekt wie nur ein Saarantras es kann –, hättest du deine Zuhörer niemals so bewegt. Die Menschen haben geweint, und das nicht nur, weil du manchmal mitsummst, wenn du spielst.«
    »Machst du Witze?«, fragte ich bestürzt.
    »Nein, es hörte sich interessant an. Meistens war es harmonisch, mit Quarten und Quinten, aber hin und wieder bist du in eine dissonante Septime verfallen. Warum?«
    »Ich war mir nicht bewusst, dass ich das tue.«
    Orma blickte plötzlich nach unten. Ein kleines Gassenmädchen, das rührend aussah in seinem Trauermäntelchen,

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