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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Die Zahnbürste
     
    Es war noch früh am Morgen. Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen. Menschen, die eben erst aufgewacht und dem Bett entstiegen sind, können sich am wenigsten wehren. Sie sind noch benommen vom Schlaf, bewegen sich unsicher in einem Reich zwischen Wachsein und Träumen – und es fehlt ihnen noch der natürliche Schutz aus Raffinesse und Infamie, den sie erst nach ausgiebigem Genuss von schwarzem Kaffee erwerben.
    Die Polizeibehörden wissen das – deshalb kommen sie, wenn sie Delinquenten übertölpeln oder belastende Materialien finden wollen, in der Frühe. Die meisten Herzinfarkte geschehen morgens zwischen sechs und acht Uhr. Und Mörder neigen dazu, ihre Bluttaten zu überschlafen, bevor sie tätig werden.
    So wusste Schmalenbach erst gar nicht, wie ihm geschah, als Elke fahl und zitternd vor ihm stand. Elke – ja, Elke – suchte nach Worten: »Meine Zahnbürste ist nass!«
    Schmalenbach nahm erst mal einen Schluck Kaffee. Er musste Zeit gewinnen. Die Lage sondieren. Die Gefahr erkennen.
    Elke ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Es ist unglaublich. Wirklich unglaublich.«
    Schmalenbach hätte sich gerne nach der Ursache ihrer Erregung erkundigt, aber er wusste, dass Elke es hasste, ihre Wutanfälle auch noch erläutern zu müssen. Also übte er sich in Demut – die einzige Reaktion, die Elke als angemessen akzeptierte.
    Sie zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch ins Nichts. Dann drückte sie die kurz angerauchte Zigarette auf Schmalenbachs Handrücken aus. Natürlich tat sie das nicht wirklich. Sie benutzte dazu den Unterteller ihrer Kaffeetasse. In ihrem Gesicht stand jedoch geschrieben, dass sie es eigentlich auf Schmalenbachs Handrücken tat.
    »Warum hast du das getan?«, fragte sie.
    »Was?«, entfuhr es Schmalenbach. Ein kapitaler Fehler.
    »Das fragst du noch?«, schrie sie.
    Wenn er schon alles vermasselt hatte, konnte Schmalenbach auch langsam zur Gegenwehr übergehen. Irgendwann würde er sowieso damit beginnen müssen, seine Haut zu retten – zumindest das, was davon übrig blieb, wenn Elke ihren Furor ausgetobt hatte. »Was habe ich damit zu tun, dass deine Zahnbürste nass ist? Ich bin doch nicht für alles verantwortlich. Ich bin doch auch nur ein Mensch. Ich tue doch auch nur das, was in meiner Macht steht. Wenn du mich stichst, dann blute ich. Wenn du …«
    »Du hast sie benutzt, du schmuddeliger Kerl!«
    Schmalenbach atmete auf. Kein wirklicher Alarm. Keine ernsthafte Bedrohung. Sie hatte nicht die Briefe der Bodybuilderin gefunden, die unter der Schreibtischauflage versteckt waren. Auch die Kontoauszüge des Geldmarktkontos, das Schmalenbach als eiserne Reserve und hinter Elkes Rücken bei einer unauffälligen Ökobank im Wetteraukreis unterhielt, waren ihr nicht in die Hände gefallen. Es handelte sich bloß um ihre Zahnbürste.
    »Ich bitte dich, Elke, warum sollte ich deine Zahnbürste benutzen?«
    »Weil du pervers bist!«, fuhr sie ihn an. »Weil du auf solche kaputten Sachen stehst. Das Normale – das liegt dir ja nicht. Das sagst du doch immer …«
    »Ja, aber mehr in einem intellektuellen Zusammenhang. Weniger auf Zahnbürsten bezogen.«
    Doch Elke schien seine wohlgesetzten Einwände gar nicht zu hören. »Und weil du ein Dreckspatz bist. Du wechselst ja auch nur alle paar Tage deine Unterwäsche.«
    »Um dir die Arbeit mit der Wäsche einfacher zu machen.«
    »Billige Ausreden! Schmatzt du etwa beim Essen, um meine Kochkünste zu loben?«
    Wenn früher Frauen hysterisch wurden, waren ihre Partner dazu verpflichtet, ihnen rechts und links eine Ohrfeige zu versetzen. Schon hatten sie sich beruhigt. Das empfahlen Krankenkassen in ihren Mitgliederzeitschriften, das wurde sogar von Fernsehärzten angeraten. Wenn man heute auf dieses probate Heilmittel zurückgriff, hieß es gleich, man sei ein krimineller Charakter und gehöre ins Gefängnis. Heute blieb nur die verbale Ohrfeige, das rhetorische Kaltwasserbad, das Schmalenbach allerdings wie kaum ein anderer beherrschte.
    »Ich schmatze nicht!«, sagte er. »Ich und schmatzen? Ich doch nicht!«
    Das saß. Elke bebte zwar noch, aber sie schwieg.
    »Willst du etwa leugnen, meine Zahnbürste benutzt zu haben?«, fragte sie nach einer Weile.
    Schmalenbach fiel dazu nur ein klares »Ja« ein.
    »Und warum ist sie dann nass?« Elkes Fingernägel trommelten auf der Tischplatte.
    »Was weiß ich? Wahrscheinlich trocknet es schlecht in unserem Bad.«
    »Deine ist trocken.

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