Serafina - Das Königreich der Drachen - Wie alles begann ... (German Edition)
Mutter«, fuhr Eskar ungerührt fort. »Nur die Älteren unter euch erinnern sich noch an den Krieg. Aber es sind nicht die Alten, die sich den Söhnen von Sankt Ogdo anschließen oder auf den Straßen randalieren. Wie kann sich in die Herzen von Menschen, die niemals die Feuerstürme des Kriegs erlebt haben, ein so tief sitzendes Misstrauen eingenistet haben? Mein eigener Vater fiel durch eure Ritter und ihre hinterhältige Kriegskunst, die Dracomachie. Jeder Saarantras erinnert sich noch an jene Zeit, denn wir alle haben jemanden aus der Familie verloren. Wir tragen es euch nicht nach, uns bleibt nichts anderes übrig, um des Friedens willen. Wir hegen keinen Groll gegen euch. Gebt ihr Menschen die Gefühle mit eurem Blut weiter, von Mutter zu Kind, so wie wir Drachen unsere Erinnerungen weitergeben? Vererbt ihr eure Ängste? Nur so lässt sich erklären, dass sie so lange erhalten blieben – oder warum ihr sie nicht schon längst ausgemerzt habt«, sagte Eskar.
»Das hieße, uns selbst auszumerzen. Ihr mögt das für eine unserer menschlichen Dummheiten halten«, sagte Prinz Lucian und lächelte grimmig. »Vielleicht können wir unsere Gefühle nicht so mit dem Verstand bezwingen wie ihr, vielleicht brauchen wir mehrere Generationen, bis sich unsere Ängste gelegt haben. Andererseits beurteile ich auch nicht alle Drachen nach den Taten einiger weniger.«
Eskar blieb völlig unbeeindruckt. »Ardagmar Comonot wird meinen Bericht entgegennehmen. Man wird sehen, ob er daraufhin seinen bevorstehenden Besuch absagt.«
Prinz Lucian trug sein Lächeln vor sich her wie eine weiße Flagge. »Wenn er zu Hause bliebe, würde mir das jede Menge Schwierigkeiten ersparen. Wie nett von Euch, dass Ihr an mein Wohlergehen denkt.«
Eskar legte den Kopf schief wie ein Vogel, schien jedoch nicht weiter auf Kiggs’ Bemerkung eingehen zu wollen. Sie befahl ihren Begleitern, Basind einzusammeln, der ans Ende der Brücke davongeschlichen war und sich dort wie eine Katze am Geländer rieb.
Der dumpfe Schmerz zwischen meinen Augen hatte sich zu einem hartnäckigen Pochen gesteigert, als ob jemand beständig von innen an meinen Kopf hämmerte, weil er herauswollte. Das war übel, denn meine Kopfschmerzen wurden üblicherweise von weiteren Unannehmlichkeiten begleitet. Andererseits wollte ich nicht gehen, ohne herauszufinden, was das Gassenmädchen Orma gegeben hatte. Eskar hatte ihn beiseitegenommen, sie steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich leise.
»Er ist bestimmt ein ausgezeichneter Lehrer«, sagte Prinz Lucian. Seine Stimme erklang so überraschend und so nahe an meinem Ohr, dass ich zusammenzuckte.
Wortlos machte ich einen kleinen Knicks. Ich durfte anderen nicht zu viel über Orma verraten, am allerwenigsten dem Hauptmann der Königlichen Garde.
»Ja, das ist er ganz gewiss«, sprach der Hauptmann weiter. »Wir waren erstaunt, als Viridius ein Mädchen zu seiner Gehilfin wählte. Womit ich nicht andeuten will, dass ein Mädchen nicht für dieses Amt geeignet wäre. Aber Viridius ist sehr altmodisch. Du musst etwas ganz Außerordentliches an dir haben, dass er auf dich aufmerksam geworden ist.«
Diesmal knickste ich tief, aber er war noch nicht fertig. »Dein Solo war in der Tat sehr bewegend. Das wird dir jeder bestätigen, denn in der Kathedrale blieb kein einziges Auge trocken.«
So wie es aussah, würde ich mich nicht mehr in der Anonymität verstecken können. Das hatte ich nun davon, Vaters Rat in den Wind geschlagen zu haben. »Danke«, antwortete ich. »Entschuldigt mich, Hoheit, ich muss mit meinem Lehrer sprechen wegen meiner, ähm, Triller …«
Ich ließ ihn einfach stehen – der Gipfel an Unhöflichkeit. Er verharrte einen Augenblick unentschlossen, dann ging auch er. Ich drehte mich um. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne tauchten sein Trauergewand in ein goldenes Licht. Er befahl einem seiner Untergebenen, ein Pferd herbeizubringen, saß mit fast tänzerischer Leichtigkeit auf und ließ seine Mannschaft Aufstellung nehmen.
Ich erlaubte mir einen kurzen Augenblick des Bedauerns, denn ich wusste, das Umschlagen seiner Freundlichkeit in Geringschätzung wäre unausweichlich, sollte er je erfahren, wie ich wirklich war. Dann schob ich diese trüben Gedanken beiseite und gesellte mich zu Orma und Eskar.
Orma streckte den Arm aus, aber er berührte mich nicht. »Darf ich vorstellen: Serafina«, sagte er.
Staatssekretärin Eskar blickte mich über ihre Adlernase hinweg an und schien
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