Serafinas später Sieg
algerischen Korsaren gekapert wurde, bewahrte sein Beruf ihn vor dem Schicksal eines Galeerensklaven – die Mohammedaner brauchten Ärzte. Und als er wie viele andere Christen zum Islam konvertierte, war es ihm nach einiger Zeit möglich, sich zwischen Algier und Oran auf fruchtbarem Boden ein schönes Haus zu bauen und sich so viele Pferde und Sklaven zu halten, wie er wollte. »La ilaha illa'llah«, sagte er. Es gibt keinen Gott außer Allah. Früher hatte er Raoul Herault geheißen – seit seinem Glaubenswechsel führte er den Namen Kara Ali.
Von all dem wußte Serafina auf der langen, heißen Reise, die sie in eine ungewisse Zukunft führte, nichts, sie wußte nur, daß ihr neuer Herr ein freundlicher Mann war. Er sammelte Kräuter, mit deren Sud er ihr kühlende Umschläge machte, und braute einen Trank, der sie viele Stunden ruhig schlafen ließ – und er wickelte ihr ein Tuch um den Kopf, damit ihre Augen nicht durch die strahlendweißen Salzebenen und Dünen geblendet würden.
Häufig machten sie bei Karawansereien halt, in deren Innenhöfen es schattenspendende Bäume und Brunnen gab. Einmal, als Kara Ali Serafina erfrischende saure Milch einflößte, sagte er ihr seinen Namen. »Und wie heißt du, Kleines?«
»Serafina«, antwortete sie, doch der Name klang ihr seltsam fremd in den Ohren. Als Kara Ali sich zum Essen niederließ, kroch sie zum Brunnen hinüber, um ihr Gesicht zu waschen. Ihr Spiegelbild erschreckte sie zutiefst: verschwollene Augen, aufgeplatzte, schrundige Lippen, verfilzte Haare, die strähnig über schmutzige Wangen hingen.
Das war nicht Serafina Guardi, die gepflegte, behütete Tochter des reichen Marseiller Tuchhändlers – das war ein verwahrlostes Sklavenmädchen!
Kara Alis Haus hatte einen ebensolchen Innenhof wie die Karawansereien – und dort lag Serafina viele Tage und Nächte, bis ihr Fieber sank und der rote Ausschlag verblaßte. Während dieser Zeit beobachtete und lauschte sie und bereitete sich schrittweise auf ihr neues Leben vor. Man hatte ihr das Kleid weggenommen, ihr einen Eisenring um den Fuß gelegt und sie geschlagen – Erlebnisse, die sie sich in ihren schlimmsten Träumen nicht ausgemalt hätte –, und während über ihr die Palmwedel in der leichten Brise raschelten, entwickelte Serafina allmählich eine neue Lebenseinstellung. Wenn feine Kleider ihr Erniedrigung einbrachten, würde sie eben Lumpen tragen, und wenn Auflehnung ihr Schläge bescherte, würde sie ihre Zunge eben im Zaum halten. Sie sog den Duft von Reis, Hammelfleisch und Gewürzen ein, der aus der Küche herüberwehte, hörte zu, wie die Sklaven sich in der Lingua franca der Bagnos unterhielten und beobachtete die Sklavinnen, wenn sie mit Körben oder Krügen auf dem Kopf verschleiert den Innenhof durchquerten.
Als sie wieder gesund war, wurde sie in die Küche geschickt, wo sie von der spanischen Köchin lernte, die großen Töpfe zu reinigen, in denen der Kuskus zubereitet wurde, Gemüse zu schneiden und Fleisch zu tranchieren – Arbeiten, die sie nie zuvor getan hatte, doch sie erwies sich zu ihrer eigenen Überraschung als recht gelehrig. Ja, es machte ihr sogar Spaß. Wenn sie arbeitete, kam sie nicht dazu, an ihren Vater zu denken – und an das Kreuz, mit dem er für alle Zeit gekennzeichnet worden war. Nach einem anstrengenden Tag sank sie in tiefen Schlaf, anstatt davon zu träumen, wie sie mit einem Kranz aus Rosmarinzweigen und Gräsern im Hinterland von Marseille neben Angelo stand. Serafina arbeitete flink und präzise, und sie lernte schnell. Wenn sie die Paprikaschoten wie vorgeschrieben würfelte und auf dem Weg vom Brunnen kein Wasser verschüttete, bekam sie keine Schläge – und sie gewann eine Erkenntnis, die sie ihr restliches Leben begleiten würde: Harte Arbeit war ein hervorragendes Mittel gegen Kummer.
Nachdem sie sich von ihrer Krankheit erholt hatte, sah Serafina ihren neuen Herrn lange nicht. Die Köchin und die Sklavinnen behaupteten, daß er ein Magier sei, der nachts die Jins herbeirief, die ihn in der Zauberei unterwiesen. Die Jins, sagte die Köchin, seien von Gott aus einem rauchlosen Feuer erschaffen worden – im Gegensatz zum Menschen, den er aus Lehm geformt habe. Sie sähen furchterregend aus und beträten die Häuser durch deckenhohe Mauerritzen. Als sie eines Abends losgeschickt wurde, um ihrem Herrn ein Glas Scherbet zu bringen, erwartete Serafina, ihn im Gespräch mit einem dieser unheimlichen Geschöpfe zu finden – doch er war
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