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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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versuchte, mit den Worten einen Schutzwall um sich zu errichten.
    Aus den Augenwinkeln warf Johannes kurze Blicke in das Gesicht Bruder Friedrichs und fragte sich, ob er selbst ebenso blass und fahrig aussah wie dieser. Der Schwindel, der ihn nach dem Aufstehen ergriffen hatte, war jetzt fort, aber das Ohrenklingeln und das Brennen seiner Augen waren geblieben.
    »Diese Schrift ...«, hob Bruder Friedrich erneut an, brach jedoch ab, denn in diesem Moment erklang der Schrei erneut, sehr viel lauter noch als beim ersten Mal, da sich nun keine Mauern und Wände mehr zwischen seinem Verursacher und den Mönchen befanden. Zitternd hing er in der Luft, wandelte sich von einem schmerzerfüllten Brüllen bis hin zu einem irrsinnigen Kreischen, das die Luft vibrieren und Johannes’ Herz stocken ließ.
    Wie auf ein Zeichen blieben die Mönche stehen.
    Johannes schlug das Kreuz. Er war nicht der Einzige.
    »Barmherzige Maria, Mutter Gottes!«, hörte er jemanden flüstern.
    Vor ihnen befand sich eine hohe, doppelflüglige Tür. Johannes wollte gerade den Mund öffnen, als etwas mit brutaler Wucht von innen dagegen krachte. Das Türblatt erzitterte in seinen Angeln, und Johannes wich einen Schritt zurück.
    Wieder brach ihm der Schweiß am gesamten Leib aus. Die Gesichter seiner Mitbrüder verschwammen vor seinen Augen, und ganz kurz glaubte der Infirmarius hinter den bleichen Mienen verzerrte Fratzen zu entdecken, hohlwangige Masken, die ihn aus brennenden Augen anstarrten. Er blinzelte, und fort war die Vision.
    Auf der anderen Seite der Tür war es still geworden. Eine der Fackeln, die in eisernen Haltern an der Wand steckten, zischte leise. Ihr Licht zuckte unruhig über die Wände, die man hier oben nur roh verputzt hatte.
    Johannes holte tief Luft und ließ seinen Blick über die versammelte Menge der Mönche schweifen. »Helft mir!«, befahl er. Dann streckte er die Hand nach dem Türriegel aus.
    »Ihr wollt doch nicht ...«
    Er achtete nicht auf des Priors ungläubige Frage und öffnete stattdessen die Tür. Sie schwang ein kleines Stück nach innen und kam mit einem Ruck zum Stillstand. Ein säuerlicher Geruch lag in der Luft.
    Urin. Einer der Gäste hatte einen bereits benutzten Nachttopf gegen die Tür geworfen. Die Scherben hatten sich unter dem Türblatt verkeilt, und Johannes musste seine ganze Kraft aufwenden, um sich Eintritt zu verschaffen. Mit einem zornigen Kreischen schrammte die Tonscherbe über den Steinfußboden.
    Johannes erschauerte.
    »Herr im Himmel!«, hörte er einen der jungen Mönche murmeln. Es war Guillelmus, sein Famulus, der ihm als Assistent in der Krankenstube des Klosters diente und gleichzeitig sein Schüler war.
    Hinter der Tür war es finster.
    Finster und totenstill.
    »Heda!«, rief Johannes. Seine Stimme wollte ihm nicht recht gehorchen, auch wenn seine Zunge jetzt weniger dick schien als zuvor. »Hohe Herren?«
    Er bekam keine Antwort. Und das weckte seine Neugier.
    Bevor er es sich versah, hatte er einen Schritt über die Schwelle getan und streckte die Hand nach hinten aus. »Licht!«, befahl er.
    Der Geruch von Urin brannte ihm in der Nase. Um ein Niesen zu unterdrücken, knetete er sich die Nasenflügel, und als er dieHand wieder sinken ließ, war da plötzlich ein ganz anderer, ihm sehr vertrauter Geruch.
    Sein Nacken versteifte sich.
    Jemand legte ihm eine Fackel in die Hand, und er zögerte. Dann hob er den Arm.
    Und prallte zurück.
    »Heilige Mutter Gottes!« Guillelmus wimmerte auf wie ein kleines Kind.
    Johannes begann zu schwanken, doch er fing sich. Das Licht der Fackel riss Einzelheiten aus der Finsternis. Ein langer, leuchtend roter Streifen an der weißen Wand des Schlafsaales. Eine klaffende Wunde.
    Und in diesem Moment drang der andere Geruch mit voller Wucht auf Johannes ein. Es war Blut.
    Zur gleichen Zeit
    Der Hall von Matthias’ Schritten brach sich in einiger Entfernung und wurde als Flüstern zu ihm zurückgeworfen.
    Er blieb stehen, kratzte sich am Hinterkopf und lauschte. Außer seinem eigenen Atem und dem stetigen und unregelmäßigen Klicken, mit dem Wasser von den gemauerten Decken tropfte, war kein weiteres Geräusch zu vernehmen. Gut so.
    Die Luft hier unten, in den Gängen unter der Stadt, war kühl und feucht. Hierhin drang die Hitze des Sommers niemals, selbst wenn über der Erde ein glühender Höllensturm losbrechen sollte: Hier würde nichts davon zu spüren sein. Matthias legte eine Hand gegen die Seitenwand des Stollens und ließ die steinerne

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