Sex und Folter in der Kirche
gegeißelt werden, beim drittenmal wird man ihm die Zunge durchbohren und ihn auf die Galeeren schicken.«50
Es wird zu fragen sein, wer die Folter rechtfertigte, wer sich -
Christen oder Nichtchristen? - gegen sie aussprach, wer sich -
Nichtchristen oder Christen? — bis zuletzt ihrer wenigstens zeitweiligen Ächtung widersetzte, wer sie heute noch übt.
Wer die gesellschaftliche Macht hat, eine bestimmte Moral zu
propagieren und durchzusetzen, ist gut dran. Wer diese Macht
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nicht besitzt, kann es mit Argumenten versuchen, mit der Berufung auf Menschenverstand, Menschenwürde, Humanität. Ob er Erfolg
hat, bleibt nach allen Erfahrungen mit den Mächtigen der Weltund Kirchengeschichte höchst fraglich. Es ist in der Tat eine leidige Sache mit der Legitimation: Das Gerichtsmedizinische Institut der Universität Heidelberg verwendete seit den siebziger Jahren bei Autounfalltests Leichen. Seit 1972 wurden, im Auftrag von Auto-firmen, bei solchen Versuchen mehr als zweihundert Leichen »eingesetzt«, darunter acht Kinderleichen. Dabei sollte die Tauglichkeit der sogenannten Dummy-Puppen getestet werden. Das letzte tote Kind wurde 1989 »verwendet«, der letzte Erwachsene 1993. Auf-regung herrschte nach Bekanntwerden dieser Fakten vor allem
deswegen, weil es sich auch um Kinderleichen handelte. Doch die Fragen, warum, inwieweit, von wem sich die Nutzung Toter sozial legitimieren läßt, wurden nicht gestellt. Die Heidelberger Forscher werden sie anders beantworten als die Bild Zeitung, die den Skandal vermarktete.
Nun gilt auch das (nicht immer schmerzarme) Vergießen von
nichtmenschlichem Blut im christlichen Abendland noch immer als erlaubt bis erwünscht; nicht nur auf Schlachtfeldern fließt Blut, sondern auch in Schlachthäusern. Offenbar mußten wir lernen, daß Selektion auch auf diesem Gebiet greift: Tierblut ist sekundäres, zweitrangiges Blut, das zu Blutmehl oder Blutwurst verarbeitet wird, und Pflanzen geht das richtige Blut ohnedies ab. Es ist demnach nur eine Frage der Definition, welches Menschenblut als
vernachlässigenswert betrachtet wird; die Folter wartet schon.
Übrigens: Das Bluten einer Pflanze, in der Botanik ziemlich
unbeteiligt als der »Austritt wäßrigen Saftes aus pflanzlichen Wundflächen nach Anschneiden oder Anbohren«51 definiert und
auf den Blutungs- oder Wurzeldruck zurückgeführt, ist allenfalls unter bestimmten Gesichtspunkten erwähnenswert: Pflanzliche
Blutungssäfte liefern Kosmetika oder vergärbare Getränke, zum Beispiel Palmwein, Ahornsirup, Pulque (Agavensaft). Und da die Schöpfung selbst im Tod ihren Gott lobt, haben auch dessen Prediger keine Bedenken, für ihre Fronleichnamsprozession52 Jahr um Jahr Hunderttausende junger Birken abholzen und an die Straßen stellen zu lassen.
Freilich sind es nicht die Freunde alkoholisierten Pflanzenblutes oder des Fronleichnamsfestes allein, die als Ausbeuter fungieren.
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Wer hier auf die anderen zeigt, hat seine schäbigen Gründe. Denn wir alle sind es, die da tätig sind, wir Menschen eben: Immerhin sind von den Milliarden Lebensformen, die seit dreieinhalb Milliarden Jahren auf der Erde existieren, mittlerweile 99,9 Prozent ausge-storben, sprich ausgerottet. Allein 1988 exekutierten wir Menschen nicht weniger als 8750 Tier- und Pflanzenarten, und in den nächsten zwanzig Jahren wird es nochmals ein Viertel der noch lebenden Arten sein, das sich für immer verabschieden muß. Pro Tag verschwinden in der besten aller Welten hundert bis dreihundert Arten auf Nimmerwiedersehen.53
Von den Oberhirten der christlichen Kirchen erwarte ich in
dieser Hinsicht nichts anderes als Verschweigen; sie haben im Überlebensinteresse ihrer Organisationen Besseres zu predigen. Ich lernte jedoch gern die Gottheit näher kennen, deren Schweigen sich über die greulichen Fakten legt. Oder sollten wir die Bekanntschaft bereits gemacht haben? Handelt es sich gar um denselben Gott, den die Seinen als Schöpfer und lieben Vater verkünden? Christen und die Natur: Macht euch die Erde Untertan! Seht euch, die Menschen, einfach als Mittelpunkt der Schöpfung - und ihr kennt und erlebt bereits einige Folgen. Oder meint ihr noch immer, es gehe einfach so weiter, wie euch das bequem erscheint?
Kann die Natur es sich zum Beispiel erlauben, einfach zuzusehen, wie Menschen mit ihren, der Natur, Tieren umgehen? Soll ich
historische Beispiele oder neueste aus Spanien nennen, dem katholisch-stolzen Land? Neueste Exempel der Tierfolter, die
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