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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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blutig sein.
    Lady Macbeth sagt: »Du weißt, was dir im Wege steht, um König von Schottland zu werden?«
    Selbstverständlich zunächst einmal der König selbst, Duncan; er wird sterben müssen. Dann: Duncan hat zwei Söhne, Malcolm und Donalbain; auch sie müssen verschwinden. Macbeth ist ein Vetter des Königs. Erst wenn König und Prinzen nicht mehr sind, wird er an der Reihe sein.
    Lady Macbeth sagt: »Wir müssen es tun. Das Schicksal hat Großes mit dir vor. Erweise dich als würdig! Der König muß sterben!«
     
    Der König hat seinen Besuch im Schloß von Macbeth angesagt. Er will seinen General besuchen, will ihm gratulieren, will ihn ehren, ihm danken.
    »Was wir tun müssen, tun wir gleich«, sagt Lady Macbeth.
    Macbeth zaudert – so interpretiert ihn seine Frau –, er hadert mit dem Schicksal, so meint sie. Trotz der Nähe kann es ihr nicht gelingen, in den Kern seines Wesens vorzudringen: in die Mechanik seiner Einbildungskraft. Macbeth zaudert nicht, er hadert nicht mit seinem Schicksal. Er wird nicht ein blutiger Schinder werden, er ist bereits ein blutiger Schinder. Im Gegensatz zu seiner Frau, die nach der Tat von ihrem schlechten Gewissen gepeinigt wird, hat er das schlechte Gewissen vor der Tat; lange bevor er den ersten Schritt getan hat. Was habe ich getan! Noch bevor er es getan hat.
    Duncan kommt mit königlichem Gefolge. Er betrachtet das Schloß seines Generals, der Anblick stimmt ihn milde.
    »Das ist ein Schloß, das für den Frieden gebaut wurde«, sagt er. »Die Schwalben nisten auf den Fenstersimsen unter dem Dach. Wo Schwalben nisten, da ist es friedlich, dort ist die Luft gut.«
    Der König hat eine lange Reise hinter sich.
    »Laßt uns erst morgen unser Fest feiern«, sagt er. »Ich will mich bald zur Ruhe begeben und lange schlafen.«
    Lady Macbeth hat das schönste Gemach für den König herrichten lassen. Der König hat recht: Alles hier erzählt vom Frieden. Die Farben sind warm und weich, es riecht nach Behaglichkeit. Aber ein König ist ein König, und er ist immer ein König. Und es gehört zur Etikette, daß im Schlafzimmer des Königs zwei Wächter sitzen. Und es gibt keinen Grund, warum sich der König für königliche Gepflogenheiten entschuldigen sollte. Aber er tut es doch.
    »Ich kenne keinen Platz auf dieser Welt, der für den König von Schottland sicherer wäre als das Schloß von Macbeth. Aber weil ich weiß, daß mein General die Formen noch mehr schätzt als ich, bitte ich, auch für meine Wächter Quartier in meinem Gemach zu machen.«
    Hat Lady Macbeth vergessen, was Sitte ist?
    Lady Macbeth ist eine gute Gastgeberin. Wichtig ist nicht nur, daß der König zufrieden ist. Ihre Warmherzigkeit zeigt sich vor allem in ihrem Bemühen um die kleinen Leute. Da sind ja so viele mit dem König gekommen – Knappen, Diener, Knechte, Wachpersonal.
    »Ihr sollt nicht bis morgen warten müssen«, sagt die Lady. »Ihr dürft heute schon feiern. Morgen beim großen Fest habt ihr ohnehin genug zu tun.«
    Und zu den beiden Soldaten, die im königlichen Schlafgemach Wache halten sollen, sagt sie: »Braucht es in der Sicherheit noch Sicherheit? Ist Macbeth nicht der Wächter aller Wächter?«
    Und die beiden Soldaten sagen: »Man kann es gar nicht anders ausdrücken.«
    Sie dürfen auch feiern. Alkohol. Viel Alkohol.
    Und dann schlafen sie und wachen nicht. Liegen neben dem Bett des Königs. Und schnarchen mit ihm um die Wette.
    »Jetzt!« sagt Lady Macbeth zu ihrem Mann. »Jetzt geh! Nimm den Dolch, töte den König!«
    Er zaudert. Wieder zaudert er. Sie meint, er fürchte sich.
    Sie nimmt den Dolch und sagt: »Ich tue es!«
    Sie schleicht in die Kammer, wo der König schläft, neben ihm die betrunkenen Wächter. Da fällt ein Lichtschein auf das Gesicht des Königs. Sie verläßt die Kammer.
    »Ich konnte es nicht tun«, flüstert sie ihrem Mann zu. »Er sah aus wie mein Vater.«
    Sie schließt seine Finger um den Griff des Dolchs. »Du hast es versprochen«, sagt sie.
    Macbeth geht. Und dann hat er eine Vision. Er sieht vor sich den Dolch schweben, den er doch mit der Hand umklammert. Der Dolch ist blutig. Er folgt dem Trugbild. Der Weg ist frei. Macbeth ersticht den König.
    Er kommt zurück zur Lady, den blutigen Dolch in der Hand. Weiß im Gesicht.
    »Ich sehe es«, sagt sie.
    Er ist ruhig, ruhig wie in der Schlacht.
    »Du hast einen Fehler gemacht«, sagt sie. »Du hättest den Dolch neben die Wachen legen sollen. Hättest Blut in ihre besoffenen Gesichter schmieren

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