Shane - Das erste Jahr (German Edition)
Zeit lassen.“
Shane trat aus der Tür hinaus auf den Hof. Es war kalt. Sie zog die Schultern hoch. Sie blickte in den Himmel. Grau.
Sie seufzte und ging die Treppen hinab.
Die Schüler standen in kleinen Gruppen gedrängt zusammen, wie Tiere, die vor dem eisigen Wind Schutz suchten. Shane blickte nach vorn. Sie lief weiter. M und M standen in der hintersten Ecke auf dem Schulhof, wie immer. Als sie sie kommen sahen, hoben sie die Köpfe. Maria blickte sie an. Max senkte den Blick. Sie drehten sich um, von ihr weg.
Shane kniff die Lippen zusammen und ging weiter. Am äußersten Rand des Hofes blieb sie stehen. Sie drehte sich um. Sie war allein.
Am nächsten Morgen schaute Shane aus dem Fenster. Wo bist du? Selbst der Nebel hatte sie allein gelassen.
Sie bewegte langsam die Beine aus dem Bett.
„Guten Morgen.“
„Guten Morgen.“ Die Mutter drehte sich nur kurz um.
Timmy grinste Shane an und fuhr mit der Hand zu den Mandarinen.
Er nahm eine in die Hand und wanderte damit zur Tischkante. Shane blickte ihn ausdruckslos an. Timmy ließ die Schultern hängen und legte die Mandarine zurück.
„Soll ich dir ein Brot weniger mitgeben, Shane?“
„Nein, wieso?“
„Du hast die letzten Tage immer eins wieder mitgebracht.“
„Oh. Okay.“ Ach Max.
Die Mutter stellte Shane die Müslischale hin. „Hier, Milch nimmst du dir selber.“
„Danke.“
„Shane.“
„Ja?“
„Willst du mir nicht erzählen, was da geschehen ist in der Schule?“
„Das hab ich doch schon! Als ich kam, lag Rambo schon so da!“
Er hätte tot sein können, Shane. Tot.
Hör auf!
Tot.
Shane atmete tief ein.
Die Mutter nickte. „Okay.“ Sie schloss die Brotdose. „Morgen haben wir einen Termin bei der Ärztin.“
Shane hatte den Gedanken fortgeschüttelt, hatte die Stimme zum Schweigen gebracht.
Mit dem Finger fuhr sie langsam über den Tisch, zauberte ein verschlungenes Muster. Sie verfolgte es mit den Augen und öffnete den Mund. „Sag ruhig Psychologin.“
„Weißt du, ob M und M schon ihren Termin hatten?“
Shane schüttelte den Kopf.
„Na gut.“, sagte die Mutter. „Ach, und nächste Woche gehe ich mit dir zum Kieferorthopäden.“
Shane’s Kopf schnellte in die Höhe. „Warum?“
„Ganz offensichtlich hast du Zahnschmerzen. Ständig hältst du dir den Kiefer.“
Shane malte kleine Kringel in ihr Heft. Die Wörter, die aus der Lindenbaum ihrem Mund kamen, drängten nur gedämpft an ihr Ohr. Shane schaute aus dem Fenster. Keine Wolken.
Ein Radiergummi kam angerollt. Shane wollte danach greifen, hielt dann inne. Maria nahm den Gummi. Sie blickten sich kurz an, bis Maria den Blick sank.
Shane seufzte leise. Sie schaute auf ihr Heft. Sie hatte es satt. Sie hatte es satt, alleine zur Schule zu gehen, sie hatte es satt, alleine auf dem Hof herumzustehen, sie hatte es satt, auf ihr eines Brot zu starren. Sie blickte aus dem Augenwinkel zu Maria.
Sie saßen zwar noch nebeneinander, jeden Tag in der Schule, doch es hätte ebenso eine Mauer zwischen ihnen stehen können, es hätte sich nicht anders angefühlt als es das jetzt tat.
Am Nachmittag schloss es an der Tür. Mark und sein Vater drehten die Köpfe. Die Mutter schob sich, bepackt mit Tüten hinein. Der Vater schüttelte den Kopf. „Warum ist es nur Frauen vergönnt, beim Shoppen Glücksgefühle zu erleben?“
„Sieht mir eher wie Frusteinkauf aus.“
„Haltet die Klappe!“, sagte die Mutter und stellte die Tüten ab. „Ich habe euch allen etwas mitgebracht!“
Timmy kam unter dem Tisch hervor gekrabbelt und wühlte in den Taschen.
„Shane!“, brüllte die Mutter nach oben. „Timmy, mach langsam!“
Shane kam die Treppe hinunter. „Was ist?“
Die Mutter beugte sich über eine Tüte und zog einen lilafarbenen Anorak heraus. Sie hielt ihn hoch wie eine Trophäe. „Na, wie sieht der aus? Lila, das ist zurzeit total angesagt!“
Mark und der Vater wechselten einen Blick.
„Was ist das?“, fragte Shane.
„Deine neue Jacke!“
„Wozu?“
„Shane!“ Die Mutter ließ den Anorak sinken. „Du kannst auf keinen Fall auch nur noch einen Tag mit diesem alten Mantel rumlaufen! Der ist viel zu klein!“ Sie hielt die Jacke wieder hoch und ging auf Shane zu. „Schau, die ist total schick …“
„Ich will einen Mantel!“
„Was?“ Die Jacke sank wieder nach unten.
„Einen Mantel!“
„Oh.“ Die Mutter nickte.
„Shane!“, sagte der Vater laut.
„Nein!“, die Mutter hob ihre Hand. „Ich hole dir
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