Shane - Das erste Jahr (German Edition)
waren.“
„Und?“, fragte der Vater.
„Ich habe nichts Außergewöhnliches feststellen können. Außer, dass unter den Kindern eine einheitliche Verschwiegenheit herrscht.“
„Dann wird es keinerlei Konsequenzen haben?“
„Der Weisenberger Junge hat einen Verweis bekommen. Wir gehen davon aus, dass er maßgeblich an dem Vorfall beteiligt war. Er neigt zu Gewalttätigkeit.“
Die Mutter nickte.
„Ich denke nicht, dass Shane eine Behandlung oder Therapie jeglicher Weise benötigt.“
Die Mutter vermied es, den Vater anzublicken.
„Hat ihre Tochter denn irgendwelche Hobbys? Etwas, das sie gern macht?“
„Naja, sie hat ihre Mandalas. Und sie geht gern in den Zirkus.“
„Zirkus?“
„Ja, sie nimmt an dieser AG teil.“
„Davon habe ich gehört.“ Die Ärztin schrieb wieder etwas auf.
„Sie …würde gern alleine durch die Stadt gehen. Doch das haben wir verboten."
Die Ärztin nickte wieder. „Nun ja, vielleicht würde ihr etwas mehr Freiraum guttun.“
Die Mutter vermied es, den Vater anzublicken.
Die Ärztin lächelte sie an. Sie machte den Mund auf.
Gertie hob die Hand. „Schon gut. Ich kann’s mir schon denken.“
Shane schloss die Tür auf. Drinnen hörte sie den kleinen Bruder gackern. Sie zog sich aus. Die Mutter drehte sich nur kurz um. „Hallo, Shane.“
„Hallo.“
„Setz dich, wir haben …ach, bevor ich es vergesse …“ Sie wischte sich die Hände ab und kam näher. Sie hob etwas vom Sofa hoch. „Hier, das ist der Einzige, den ich noch bekommen konnte, er ist etwas groß, aber vielleicht …“ Die Mutter kramte in einer Tüte und hielt schließlich einen wollweißen Mantel in die Höhe.
Shane legte die Schultasche nieder und trat näher.
Außen hatte der Mantel zwei große Taschen, doch innen gab es unzählige von Schnallen.
„Hier, schlüpf mal rein!“
Shane zog den Mantel an und fuhr mit den Händen an sich herunter. Weich.
Die Mutter drehte sie in alle Richtungen. „Also, ich frag mich, warum an einer Kinderjacke so viele Schnallen dran sind. Die denken wohl, man geht heutzutage mit Werkzeug in die Schule, hm?“
Sie lächelte Shane an. Dann schaute sie wieder zweifelnd auf den Mantel. „Ich glaube, er ist einfach noch zu groß, ich werde …“
„Ich will ihn!“
Die Mutter richtete sich auf. „Oh. Gut.“
Shane lächelte.
„Und nun setz dich, wir wollen essen. Und vergiss nicht: Nicht durch den Schlamm mit den neuen Schuhen!“
„So, du kannst den Mund nun wieder zumachen.“ Der Mann im weißen Kittel richtete sich über dem Stuhl, auf dem Shane lag, auf und wandte sich der Mutter zu. „Ich kann nichts Auffälliges entdecken. Keine Fehlstellung der Zähne, keine Entzündungen, es sieht alles völlig in Ordnung aus.“
„Woher können die Schmerzen dann kommen?”
„Nun, sehen sie, das Kiefergelenk ist das kleinste, aber komplexeste Gelenk im menschlichen Körper.“ Der Arzt hielt beide Hände vor sich und presste sie aneinander. „Die Kiefergelenke arbeiten synchron und sie können sich gleichzeitig drehen und gleiten. Sehen sie? So.
Sie verbringen sozusagen eine wahre Meisterleistung. Die Ursachen für Schmerzen im Kiefergelenk können viele sein. Durchbrechende Weisheitszähne, Zähneknirschen oder eine andere Grunderkrankung. Doch hier kann eine Ursache auch eine ganz harmlose sein, zum Beispiel ein zu schwacher Muskel. Das kommt manchmal vor während des Wachstums.“
Die Mutter runzelte die Stirn.
„Wenn die Schmerzen innerhalb der nächsten Woche nicht nachlassen oder schlimmer werden, machen wir eine Röntgenaufnahme. Inzwischen probieren wir etwas anderes. Wir schicken deine Muskeln ins Fitnessstudio, was, kleines Fräulein?“
Er kramte in den Taschen seines Kittels und hielt Shane schließlich eine bunte Stange entgegen.
„Magst du Kaugummi, Shane?“
Shane schaute nach oben. Lange Spinnenbeine erstreckten sich über ihren Kopf. Der Mann mit den roten Hosen winkte mit den Armen. „Bildet bitte Zweiergruppen. Es müsste nun aufgehen, Herr Rambo wird die nächsten Woche ausfallen, er hat sich den Ellenbogen gebrochen.“
Zwei Augenpaare blieben auf Shane haften.
Shane kam mit einem Mädchen zusammen, welches sie nicht kannte. Oder war sie in ihrer Schule? Sie stellten sich gegenüber, so wie es Rotbein von ihnen verlangte. Das Mädchen schaute Shane an. „Ganz schön albern hier, was?“
„Ich finde es eigentlich ganz lustig.“
Das Mädchen verzog das Gesicht.
Blöde Kuh.
Shane stand
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