Shannara V
Morgan und Dees tauschten Kommentare miteinander aus, doch die drei anderen behielten ihre Gedanken für sich. Pe Ell und Walker waren kaum erkennbare Schatten, Quickening ein heller Sonnenstrahl. Die Urdas waren überall um sie herum, verschwanden im dichten Gestrüpp, tauchten wieder auf, vor ihnen, hinter ihnen und zu beiden Seiten. Carisman hatte sie als Gäste bezeichnet, doch Morgan wurde das Gefühl nicht los, daß sie in Wahrheit Gefangene waren.
Nach geraumer Zeit endete der Pfad auf einer Lichtung, beim Dorf der Urdas. Ein Palisadenzaun schützte es vor Eindringlingen, und die Tore wurden jetzt geöffnet, um die Jäger und jene, die sie wie eine Herde mitbrachten, einzulassen. Drinnen wartete ein Meer von Frauen, Kindern und alten Leuten. Alle starrten mit knochigen Gesichtern und murmelten mit leisen Stimmen miteinander. Das Dorf bestand aus kleinen Hütten und seitlich offenen Unterständen um ein Gebäude aus verfugten Balken und einem Schindeldach herum. Bäume wuchsen innerhalb der Palisaden, überschatteten das Dorf und bildeten Säulenträger für Baumwege und Flaschenzüge. Es gab verstreute Brunnen und Räucherhütten zur Fleischkonservierung. Die Urdas besaßen, so schien es, zumindest gewisse Fertigkeiten.
Die fünf aus Rampling Steep wurden zu dem Hauptgebäude auf eine Plattform geführt, auf der ein roh gezimmerter, mit frischen Blumengirlanden geschmückter Stuhl bereitstand. Carisman ließ sich zeremoniell darauf nieder und lud seine Gäste ein, neben ihm auf Matten Platz zu nehmen. Morgan und die anderen taten wie geheißen und hielten wachsam die Urdas im Auge, die sich in großer Zahl auf dem Boden unter der Plattform lagerten. Als sich alle hingesetzt hatten, stand Carisman auf und sang wieder, diesmal in einer Sprache, die Morgan nicht verstand. Als er geendet hatte, erschienen mehrere Urdafrauen und reichten Platten mit Nahrung herum.
Carisman setzte sich. »Ich muß singen, um sie dazu zu kriegen, irgend etwas zu tun«, vertraute er ihnen an. »Manchmal ist das mühsam.«
»Was tust du denn eigentlich hier?« fragte Horner Dees ohne Umschweife. »Wo kommst du her?«
»Ach«, sagte Carisman mit einem Seufzer.
Er sang:
»Ein junger Reimschmied aus Rampling,
der fand, es sei an der Zeit.
Er wanderte nordwärts,
in Richtung der Stacheln zu den Urdas,
die ihn zum König machten!«
Er zog eine Grimasse. »Nicht besonders gelungen, fürchte ich. Ich versuch’s noch mal.« Er sang:
»Kommt her, meine Freunde, komm, Lady, komm nah.
So viel zu entdecken, so viel zu verstehn,
Land zu bereisen, Leute zu sehn,
Wunder zu schauen und Leben zu proben.
So viel zu erfahren. So viel kann gescheh’n.
Kommt her, meine Freunde, komm, Lady, komm nah.
Ein Reimschmied muß singen, um fliegen zu können.
Sucht singend die Wahrheit,
sucht Kern und Beweis,
den Sinn unsres Lebens, den Zweck unsres Seins.
Kommt her, meine Freunde, komm, Lady, komm nah.
Das Leben, es lebt im Fluß und im Himmel,
in Wald und Gebirge weit in der Fremde,
bei fröhlichen Wesen, die tanzen und springen,
und Freude beschert denen mein Singen.«
»Das war schon wesentlich besser, nicht wahr?« fragte er sie, und seine blauen Augen hüpften von einem Gesicht zum anderen und warteten eifrig auf Beifall.
»Ein Reimeschmied bist du also, hm?« brummte Horner Dess. »Und aus Rampling Steep?«
»Nun, auf dem Weg über Rampling Steep. Ich habe dort vor einigen Jahren ein oder zwei Tage haltgemacht.« Carisman schaute ein wenig einfältig drein. »Das Singen wirkt, also benutze ich es.« Seine Miene hellte sich auf. »Aber ein Reimeschmied, ja. Mein ganzes Leben. Ich bin zum Singen begabt, und ich bin klug genug, es zu nutzen. Ich bin begabt.«
»Aber warum bist du hier, Carisman?« drängte Quickening.
Carisman schmolz dahin. »Lady, der Zufall hat mich an diesen Ort und zu dieser Zeit und sogar zu der Begegnung mit dir gebracht. Ich habe den größten Teil der Vier Länder durchwandert und nach Liedern gesucht, die meiner Musik Flügel verleihen. Ich habe eine Rastlosigkeit in mir, die mich an keinem Ort lange verweilen läßt. Ich hätte oft genug Gelegenheit gehabt, es zu tun, und es gab sogar Damen, die mich gerne bei sich behalten hätten - auch wenn keine so schön war wie du. Aber ich zog immer weiter. Ich wanderte zunächst nach Westen, dann nach Osten und schließlich nach Norden. Ich gelangte nach Rampling Steep und fragte mich, was wohl dahinter liegen mochte. Schließlich machte ich mich auf
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