Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
zahlt man für Intelligenz — amerikanisches Geschäftsprinzip. Ich habe dieses Detail rein zufällig erfahren. Das ist mehr, als der Premierminister bekommt. Das macht Ihnen ungefähr klar, auf welcher Basis Moriarty arbeitet und wie hoch sein Gewinn ist. Und noch etwas: Ich habe mich in der letzten Zeit bemüht, ein paar von Moriartys Schecks ausfindig zu machen — ganz gewöhnliche und unschuldige kleine Schecks, mit denen er seine Haushaltsrechnungen begleicht. Sie waren auf sechs verschiedene Banken ausgestellt. Macht Ihnen das Eindruck?«
»Merkwürdig, gewiß. Aber was schließen Sie daraus?«
»Daß er keinen Klatsch über sein Vermögen will. Kein einziger Mensch soll wissen, wieviel er hat. Er hat gewiß an die zwanzig Bankkonten, und der Hauptteil seines Vermögens befindet sich
höchstwahrscheinlich im Ausland, bei der Deutschen Bank oder der Credit Lyonnais. Wenn Sie einmal ein oder zwei Jahre Zeit übrig haben, empfehle ich Ihnen, Professor Moriarty zu studieren.«
Inspektor MacDonald zeigte sich mehr und mehr beeindruckt, je länger das Gespräch sich hinzog. Er hatte alles andere vergessen. Nun aber brachte ihn sein praktischer schottischer Verstand zu dem zurück, was als Nächstes zu tun war.
»Wie dem auch sei, er kann warten«, sagte er. »Sie haben uns mit Ihren interessanten Ausführungen auf Seitenwege gebracht, Mr. Holmes. Was für uns im Augenblick aber wirklich Wert hat, ist Ihre
Bemerkung, daß es eine Verbindung zwischen dem Professor und dem Verbrechen gibt. Das entnehmen
Sie der Warnung, die Sie von Porlock erhalten haben. Können wir für unsere nächsten praktischen
Schritte noch etwas weiterkommen?«
»Wir können uns eine Theorie über das Tatmotiv bilden. Es ist, wie Sie am Anfang bemerkt haben, ein unerklärlicher Mord oder zumindest einer, für den wir keine Erklärung haben. Wenn wir jetzt einmal voraussetzen, daß der Urheber des Verbrechens die Person ist, die wir im Verdacht haben, so könnte es zwei verschiedene Motive geben. Zuallererst muß ich Ihnen sagen, daß Moriarty auf eiserne Disziplin bei seinen Leuten hält. Es gibt eigentlich nur eine Strafe: den Tod. Nun lassen Sie uns einmal annehmen, daß der Ermordete, dessen herannahendes Geschick einem der nächsten Untergebenen des Erzverbrechers
schon vorher bekannt war — daß dieser Douglas also den Chef auf irgendeine Weise verraten hatte. Die Strafe folgte auf dem Fuße und mußte allen bekanntgemacht werden — wenn auch bloß, um ihnen
gehörige Todesfurcht einzujagen.«
»Nun, das wäre eine Erklärung, Mr. Holmes.«
»Die andere Möglichkeit wäre, daß Moriarty im üblichen Rahmen seiner Geschäfte den Mord organisiert hat. Ist der Tote beraubt worden?«
»Ich habe nichts davon gehört.«
»Wenn es so wäre, würde das natürlich gegen die erste Hypothese und zugunsten der zweiten sprechen.
Es kann sein, daß Moriarty den Mord auf Grund der Zusage eines Beuteanteils veranlaßt hat oder daß man ihm eine bestimmte Summe für die Ausführung bezahlt hat. Wir haben also zwei Möglichkeiten.
Aber welche von beiden es nun ist, oder ob es vielleicht noch eine dritte Möglichkeit gibt, in Birlstone müssen wir die Lösungsuchen. Ich kenne unseren Mann zu gut, um anzunehmen, daß er hier eine Spur
zurückgelassen hat, die uns zu ihm führen könnte.«
»Dann auf nach Birlstone!« rief MacDonald und sprang von seinem Stuhl hoch. »Liebe Zeit, es ist später, als ich dachte! Meine Herren, können Sie in fünf Minuten fertig sein? Mehr Zeit haben wir leider nicht.«
»Das reicht uns beiden«, rief Holmes, während er aufsprang und seinen Hausmantel mit dem Jackett
vertauschte. »Auf dem Weg zum Bahnhof, Mr. Mac, müssen Sie mir noch alles erzählen, was Sie über
den Fall wissen.«
>Alles über den Fall< erwies sich als enttäuschend wenig — und doch war es genug, um uns zu überzeugen, daß der Fall die größte Aufmerksamkeit eines Fachmanns verdiente. Holmes strahlte und rieb sich die schmalen Hände, als er die wenigen, aber bemerkenswerten Einzelheiten hörte. Eine lange Reihe unfruchtbarer Wochen lag hinter uns, und hier war nun endlich ein würdiges Objekt für seine ungewöhnlichen Fähigkeiten, die wie alle besonderen Begabungen für ihren Besitzer nur schwer zu
ertragen sind, wenn sie nicht genutzt werden können. Dem Gehirn geht es wie dem Rasiermesser — es wird stumpf und rostet bei Nichtgebrauch.
Sherlock Holmes' Augen glänzten, seine bleichen Wangen röteten sich, das kühne
Weitere Kostenlose Bücher